Dienstag, 9. Mai 2017

Natriumascorbat und Leberwurst

Jedes Mal wenn ich in die Heimat reise, kaufe ich dort ein und nehme die Sachen mit in die Schweiz. Weils günstiger ist, klar. Aber es gibt noch einen wichtigeren Grund. In Thüringen nämlich, in Deutschlands grüner Mitte, dort wo ich geboren und aufgewachsen bin, wurde ich in der Welt der Blut-, Leber-, Sülz- und Bratwürste sozialisiert. Es ist mein „home of the wurscht“ und ich liebe es, nicht nur deswegen, aber auch.
Hier im Alpenland dagegen versteht man eine Menge von Schokolade, Uhren, Geld und Luxus, aber von einem eben gar nichts: von Wurst. Und darum schleppe ich sie kiloweise an den Rhein. Natürlich verstehe ich, dass ich mich damit in Zeiten einer um sich greifenden Vegetarisierung, ins Abseits stelle. Aber um ehrlich zu sein, es ist mir „Wurscht“.

Vorige Woche war es wieder mal soweit. Weil es am Samstag aber schon spät war und der Fleischer meines Vertrauens geschlossen hatte, ging ich in einen Supermarkt. Man sagt Fleischfressern ja nach, dass sie sich nicht darum kümmern, was sie essen, wobei ich in dieser Frage doch pingelig bin. Das liegt wohl daran, dass wir bis in die 80er selbst Borstentiere hielten, sie geschlachtet und zu deftigen Gaumenfreuden verarbeitet haben. Ich weiß also ungefähr, welche Gewürze es braucht, damit eine Blutwurst schmeckt, wie sie schmecken muss und wie viel Fett in eine Leberwurst gehört, damit sie nicht zu trocken ist.

Vor dem Regal mit den Wurstkonserven überraschte mich erst mal die Vielfalt. Neun Sorten Leberwurst, sieben Blutwürste, Gehacktes, Schmalzfleisch, ... Und billig! Wow, dachte ich. Als Nächstes interessierte mich aber, wie und vor allem aus was man ein Glas Wurst machen kann, dass sage und schreibe 99 Cent kostet. Zum Glück ist es in Deutschland ja so, dass jede Zutat auf dem Etikett stehen muss. Schweinefleisch stand dort, klar. Und Rinderfett. Schon etwas seltsam, denn für mich sind die Schweinchen, die Tiere mit der üppigen Fettschicht. Was man sich unter Gewürzmischung vorstellen darf, bekomme ich auch noch zusammen. Das dürften weißer und schwarzer Pfeffer, Piment, Salz und natürlich der herrliche Majoran sein. Wozu es aber Antioxidantien, Emulgatoren und Konservierungsstoffe braucht, ist mir unverständlich. Das ist Chemie und hat damit eindeutig nichts in meiner Nahrung verloren. Da kenne ich kein Pardon.

Eine Sorte nach der anderen nahm ich in die Hand und studierte die Inhaltsstoffe. E301 was für Natriumascorbat steht oder E243, auf chemisch Ethyllaurylarginat. Die Namen musste ich googlen, denn etwas, dass so hässlich klingt, kann man ja nicht ernsthaft auf einer Lebensmittelverpackung aufdrucken. Man verschleiert es daher durch unverdächtige E‘s. Bei den Klarnamen verginge einem nämlich bereits beim Lesen der Appetit. Das derartige Stoffe irgendeinen wertvollen Beitrag zu meiner Ernährung leisten können, bezweifle ich ernsthaft. Kurios empfand ich auch, dass die ganz billigen Sorten, die meisten E’s enthielten. Je teurer, desto weniger. Ganz am Ende fand ich sogar ein Gläschen, in dem nur enthalten war, was ich von früher kannte. Nicht ein einziges E. Es war die Marke „Oma Hilde“ und kurioserweise hieß meine Oma genauso. Also kaufte ich einige davon.

Natürlich fragte ich mich, wie es dazu kommt, dass der spottbillige Kram eine derartige Menge Zusätze enthält. Darum erkundigte ich mich bei einem Bekannten, der Metzger ist. Seine Antwort wunderte mich nicht wirklich. „Es geht ums Geld“, meinte er. Das billigste Fleisch am Markt stammt von superschnell gemästeten Schweinen. Kaum sechs Monate sind sie alt, wenn sie zum Schlachthof gefahren werden. Bis dahin führen sie ein nahezu bewegungsloses Leben, auf 0,5 Quadratmetern pro Tier. Ihrem Fleisch fehlt es darum an Festigkeit und anderen Dingen, die für gute Wurstwaren erforderlich sind. Das kann man mit Zusatzstoffen ausgleichen.

Ich bin eigentlich offen für das Meiste, was die Industrialisierung mit sich bringt. Nur geht es beim Thema Ernährung um Gesundheit und auch ein bisschen um Ethik, in der Tierhaltung und all dem, was danach kommt. Viel Natriumascorbat in wenig Leberwurst ist für mich das Gegenteil davon. Vielleicht schaffen wir es ja eines Tages, anstatt die Einkaufswagen mit Billigprodukten vollzupacken, zu verzichten. Dies täte wahrscheinlich der Gesundheit gut und auch den Tieren. Weil ich das hoffe, schreibe ich hier darüber. Ich bekenne aber auch, am Samstag gibt’s Bratwursch. Und zwar ohne Emulgatoren und sonstige chemische Leckereien. Die kostet zwar etwas mehr, aber dafür esse ich weniger. Und das tut ganz sicher gut. Uns beiden, dem Fleischer und mir.

Danke fürs Lesen.
Jürgen

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