Samstag, 30. März 2013

Unendlichkeit


6,45 Uhr morgens. Unsere Maschine beginnt mit dem Landeanflug auf Wellington. Es ist der frühen Stunde geschuldet, dass ich einem fantastischen Spektakel beiwohnen darf.

Links von mir teilt ein Streifen Blau die Schwärze der Nacht. Kurz darauf schiebt sich Orange zwischen das Dunkel des Meeres und den Himmel und alles zusammen formt den Horizont. Immer schneller wächst aus diesem schmalen Band der neue Tag. Ich drücke mein Gesicht an das kalte Fenster des Fliegers und vergesse wo ich bin. Schaue ich nach Westen, sehe ich nichts außer Dunkelheit. Trotz meiner 1,96m Größe fühl ich mich klein, winzig sogar und unbedeutend - Demut nennt man dieses Gefühl wohl.

Das Flugzeug befindet sich an der Grenze zwischen Tag und Nacht, zwischen heute und gestern. Aus dieser Perspektive ist es leichter große Dinge zu begreifen. Die unterschiedliche Bedeutung der beiden Begriffe Endlichkeit und Unendlichkeit zum Beispiel. Man kann von hier aus besser verstehen, dass die Welt ohne unser Zutun passiert - seit Langem, und vermutlich auch noch ewig, zumindest in menschlichen Kategorien. Wir hingegen, die Krone der Schöpfung, sind nur Gäste, Passagiere für ein paar wenige Stationen.

In Anbetracht dieser Endlosigkeit mutet es seltsam an, welchen Rang manche Zeitgenossen sich und welche Bedeutung sie ihrem Tun beimessen. Politiker, Superreiche und viele große und kleine Entscheider halten sich für unersetzbar. Dabei dreht sich die Welt, trotz Krieg und Frieden, trotz Hunger und Kälte, trotz Armut und Reichtum. Und zwar ohne das Zutun auch nur eines einzigen Menschen. Selbst die grausamsten Tyrannen und die heroischsten Gutmenschen sind nicht mehr als ein Wimpernschlag Zeit oder ein Sandkorn am Strand.

Kommt da nicht unweigerlich die Frage auf, welche Rolle uns in diesem System zukommt? Haben wir überhaupt eine? Was bitte hat sich die Natur gedacht, als sie zuließ, dass sich eine intelligente Spezies mit Gefühlen und Bewusstsein entwickelt? Die Antwort scheint mir einfach, in dem Moment als ich den Sonnenaufgang vor der Küste Neuseelands beobachte. All das ist Zufall. Purer Zufall - sogar die menschliche Intelligenz. Die Welt denkt nicht, sie hat keinen Plan, sondern sie existiert nur. Uns bisher bekannte und jede Menge unbekannte Mächte regeln ihre Entwicklung. Wir Menschen mit all unserem Dünkel sind nur ein Augenblick. Das ist alles.

Danke fürs zuhören, ihr Jue.