Laufen ist wie zaubern - es verflüssigt das Denken. Trägt man etwas mit sich herum und vermag nicht es zu greifen, kann ich jedem nur raten, die Laufschuhe anzuziehen und loszurennen. Panta rhei - alles fließt - stellte der Philosoph Heraklit vor zweieinhalbtausend Jahren fest. Obwohl er dabei nicht explizit den Sport im Sinn hatte, fällt mir seine Aussage immer ein, wenn sie bei mir anfangen zu fließen, die Gedanken. Gerade komme ich von meiner heutigen Laufrunde zurück. Neben den Gedanken floss auch eine Menge Schweiß. Bevor ich den allerdings abdusche, warte ich gern ein Weilchen, um meinem Kreislauf Zeit zum Herunterfahren zu geben. Während dieser »Abschwitzphase« werde ich erzählen, was mir eben durch den Kopf ging.
Gestern war ich in Christchurch. Mein Flug nach Auckland sollte mit vier Stunden Verspätung starten. Um Ärger darüber zu vermeiden, schlenderte ich in eine Buchhandlung und suchte etwas zum Lesen. Ich entschied mich für die Biografie von Steve Jobs, dem vor eineinhalb Jahren verstorbenen Gründer der Firma Apple. Er ist eine schillernde Figur, wobei ich bisher nicht sicher sagen konnte, ob er das für mich im eher positiven Sinn war. Ihm wird Charisma nachgesagt, Überzeugungskraft, Intelligenz und Cleverness - andererseits das er ein Arschloch war, ein Rattenfänger. Der Autor führte 40 Interviews mit dem todkranken Unternehmer, sprach mit Freunden und Feinden und strickte aus dem Material eine fesselnde Story. Ich las ungefähr 7 Stunden am Stück, was wirklich äußerst selten passiert.
Als ich heute aufwachte, ging mir die Geschichte immer noch durch den Kopf. Weil es dazu passt, schaute ich mir auf Youtube die Rede an, die Jobs 2005 vor den Absolventen der Eliteuni Stanford hielt. Eine einfache und wahrhaft faszinierende Ansprache, mit der er die Welt inspirierte. Im Angesicht des Todes, dem er damals bereits einmal gegenübergestanden hatte, sprach er Dinge aus, die im Gedächtnis bleiben. Beeindruckt klickte ich nach dem Ende des Films auf den nächsten Beitrag. Ich bemerkte dabei nicht, dass es sich um die Aufzeichnung eines eineinhalbstündigen Interviews handelte.
Was Steve Jobs hier erzählte, klang wiederum klar und überzeugend. Er plauderte von schlauen kleinen Geräten. Alles ließe sich damit vernetzen, und zwar immer, Tag und Nacht. Er schilderte, wie cool sie aussehen sollten und das jedes Kind in der Lage wäre sie zu bedienen. Mit einfachen Worten erklärte er, warum Software nichts mehr kosten muss und das wir mit diesen wunderbaren Minicomputern sprechen könnten. Er beschrieb neue Wege Musik zu verkaufen und stellte dar, wie »Smart Devices«, selbstverständlicher Bestandteil unseres Lebens werden. Kurz, er malte eine Art des Computings und der Kommunikation, die offensichtlich schon gut zu erkennen war, da sie unmittelbar bevorstand. Es verwunderte mich lediglich ein wenig, wie exakt er das Bild einer Zukunft zeichnete, die unsere Gegenwart ist.
Als Jobs von der Bedeutung sprach, die das Internet einst haben wird, stutzte ich, stoppte den Film und versuchte herauszubekommen, von wann das Interview war. Ich wollte nicht glauben, was ich sah. Es stammte aus dem Jahr 1995. Steve arbeitete noch nicht einmal wieder bei Apple. Das World Wide Web steckte in den Kinderschuhen der kommerziellen Nutzung und mein Mobiltelefon wog 6kg. Es gab keine »Mini Devices« wie Smartphones und keine Apps, die diesen Geräten Leben einhauchten. Jedoch sah er bereits die Dinge, die später die Welt verändern würden. Der Beitrag riss seinerzeit sicher niemanden vom Hocker. Unmengen Spinner träumten schließlich von den fantastischen Möglichkeiten, die das Netz bot. Warum also sollte dieser Typen anders sein?
Ich war viel zu spät los gelaufen, da ich das Interview bis zum Schluss schaute. Aber es war sehenswert und die Gedanken daran machten das Laufen angenehm. »Geil« dachte ich ein paar Mal während mir all das durch den Kopf ging. Selten bewegte mich eine Biografie derartig. Am nächsten kommt dem wohl die von Ernest Hemingway, dessen Leben und Überzeugungen mich auf ähnliche Weise faszinierten. Der Schriftsteller war ein Besessener und seine wunderbare Schreibe ist bis heute Gewinn und Inspiration für die Menschheit. Steve Jobs imponiert auf eine komplett andere Art. Er war ein Visionär und besaß die Kraft und den Verstand seine kühnen Visionen umzusetzen. Was er tat war, als ob Ferdinand Porsche, nachdem er den VW-Käfer schuf, ABS, Turbolader und Servolenkung beschrieben und alles noch vor seinem Tod in das Auto eingebaut hätte.
Man spürte jedoch auch, warum manche ihn für ein Arschloch hielten. Er war hart, zu sich und besonders zu seinen Mitarbeitern und oft ungerecht, besserwisserisch und er log. »Reality Disatortion« - Wirklichkeitsverdrehung, nannten das die, die ihn kannten. Auf mich wirkte er ähnlich besessen wie mein Hemingway. Er war ein Spinner, hochintelligent aber durchgeknallt, irgendwie nicht auf diesem Planeten. Als eine Art Asket interessierte ihn Geld nur als Mittel zum Zweck. Gleichzeitig war er unglaublich fordernd, wenn es um die Entwicklung von Technologie und Design ging. Seine Denkdimensionen beeindruckten und erschreckten mich zugleich, als mir klar wurde, dass dieses Interview 18 Jahre alt war und die Visionen heute zu 100% Realität.
Die Frage, ob ich Steve Jobs bewundere und falls ja warum hat sich selbst beantwortet. Während meiner Laufrunde. Ich habe geschwitzt und nachgedacht. Cooles Gefühl. Am Ende lege ich immer circa einen Kilometer in höherem Tempo zurück. Das ist mein eigentliches Training. Ich bilde mir ein, dass ich damit meine Physis verbessere. Ich rannte und mein Herz begann zu rasen. Im Kopf trommelte ein Gedanke im Rhythmus der Schritte. »Stay hungry, stay foolish.« Das war der Satz, den Mr. Apple den Stanfordabsolventen ins Stammbuch schrieb und ich beschloss, trotz einiger Schwierigkeiten die ich damit in meinem bisherigen Leben hatte, genau das zu bleiben - hungrig und verrückt.
Danke fürs Zuhören
Ihr Jürgen