Sonntag, 4. August 2013

Panta Rhei

Die ungewöhnlich klingende Formel stammt aus dem Altgriechischen und wird dem Philosophen Heraklit zugeschrieben. Von seinem Werk blieb kaum etwas erhalten, die wenigen Fragmente jedoch inspirierten ganze Scharen von Denkern. »Panta Rhei«  bedeutet »alles fließt«. Der Gelehrte sagte das übers Leben und die Gesamtheit dessen, was uns umgibt.

Schon während meiner Jugend in der DDR begegnete mir die Aussage, trug doch eine der bekanntesten ostdeutschen Rockgruppen jenen Namen. Ein Hauch von Anarchie und Aufruhr umwehte die Band, obwohl es in Wirklichkeit keinerlei Verbindung dahin gab. Der sinnschwangere Spruch allerdings spielte mit der Endlichkeit des Irdischen und dies schloss das Märchen vom Kommunismus irgendwie ein.


Oft rankten sich meine Gedanken seit dem um den Fluss der Dinge. Fließen ist noch heute eine hervorragende Beschreibung des Daseins. Freilich darf man es nicht allzu wörtlich nehmen. Aber so wie Wasser und Zeit tröpfeln, sprudeln oder strömen können, bewegen sich auch Städte, Länder, Wissenschaften, Technik, Liebe und das Leben. Alles und jedes besteht nun mal aus Werden und Vergehen. Der olle Heraklit war offenbar ein ziemlich schlauer Mann.

An sich ist eine solche Erkenntnis nahezu ohne praktischen Wert. Hilfreich ist sie jedoch dabei, Ereignisse einzuordnen oder zu relativieren. Sie erleichtert es die Dinge ins Zentrum zu rücken, die dahin gehören und gleichzeitig den »Bullshit« von dort zu verbannen. Betrachten wir beispielsweise einmal Gut und Geld. Für 90% der Menschheit stehen sie im Mittelpunkt des täglichen Handelns. Darum steht man am Morgen auf, tut, was man hasst, an Orten, die man nicht mag, mit Menschen, die einem bestenfalls egal sind. Und am Monatsende »fließt« trotzdem zu wenig Bares als Gegenleistung dafür aufs Konto. Und das gilt von Hamburg bis Timbuktu, fürs Ziegenhüten wie für das Schreiben von Computerprogrammen.

Freilich ist dies die pessimistische Lesart. Aber wer würde nicht lieber die netten Kollegen am Strand zum Plausch bei Kaffee und Kuchen treffen als im Büro oder auf der Baustelle? Und wem käme es nicht gelegener segeln zu gehen als Exceltabellen mit Daten zu füllen, Autoreifen zu montieren oder Rohre zu verlegen? Kurz, jeder wird zustimmen, dass es Besseres gibt, als zum Zweck des Gelderwerbs zu arbeiten. Genau das ist der Punkt. An Tätigsein an sich ist nichts Verwerfliches, im Gegenteil. Es verleiht dem Tun Sinn und dem Tag Inhalt. Kohle verdienen jedoch rechne ich zu dem Bullshit, den ich am Liebsten aus dem Zentrum verbannen würde.

Heraklit kannte wohl Münzen, Kapital in seiner heutigen Bedeutung allerdings war ihm fremd. Da er aber alles in den Gedanken des Fließens einschloss, muss er natürlich auch in monetärem Zusammenhang gelten. Der Beweis ist einfach. In etlichen Jahren im Beruf verdiente ich eine Menge. Manchmal denke ich sogar unverschämt viel, zumindest wenn ich es mit den armen Regionen der Welt vergleiche. Es »floss« mir zu und dann »floss« es auf ähnliche Weise wieder weg - Panta Rhei oder ... C‘est la vie.

Was für das Geld gilt, betrifft das Gut genauso. Um den Abfluss des erarbeiteten Zasters zu regeln, schaffte ich Waren an. Ein Sofa zum Preis eines Mittelklassewagens zum Beispiel. Edelanzüge von Armani bis Zegna, eine Jura Kaffeemaschine, Bilder, Fernseher, Schmuck und Edelstahlkochtöpfe, die angesichts des Kaufpreises die Speisen eigentlich selbst zubereiten müssten, und und und .... Alles Dinge, von deren Wichtigkeit und Bedeutung für mein gutes Leben ich völlig überzeugt war.

Heute, nach einjähriger Reise, Auswanderung nach Neuseeland und schon 12 Monaten in diesem wunderbaren Land, liegt genau dieses Gut immer noch in einem Umzugscontainer. Seit zwei Jahren hielt ich keinen der einst so unentbehrlichen Lebensverbesserer in der Hand. Stellt sich die Frage, vermisse ich etwas? Nein, nicht im Geringsten. Vieles änderte sich während dieser Zeit, als wenn es fließen würde, irgendwie. Ich lernte interessante Menschen kennen, machte Erfahrungen und bekam unendlich Möglichkeiten zum Nachdenken über mich und das Leben.

Meine Frau zum Beispiel beschloss, dass sie Single sein will und ich soll. Und ich darf gerade entdecken, wie sich neben dieser geschlossenen Tür eine andere öffnet, hinter der sich ein wundervoller neuer Raum auftut. Riesige »Changes« haben sich ereignet und ich verstehe heute besser, die wichtigen Dinge ins Zentrum zu rücken. Gehört dort der Containerinhalt, in den eine Menge des hart erarbeiteten Geldes floss, hin? Wieder nein. Was also ist aus der Kohle geworden, für die ich diese Güter anschaffte? Leichte Antwort: zum Großteil Bullshit. Alles verändert sich eben.

Was jedoch trotz oder vielleicht wegen dieser umwälzenden Lebensänderungen eintrat, ist das tiefe Verständnis für Heraklit und seine Idee vom Fließen. »Du kannst nicht zweimal in den gleichen Fluss steigen« ist eine weitere seiner Weisheiten. Das Wasser nämlich fließt und bei jedem Bad umgibt dich frisches Nass. Er hatte recht der alte Grieche und ich spüre es, heute mehr denn je. Traurigkeit kommt und vergeht, Glück ebenso und manchmal verjagt eins das andere. Niemals bleibt etwas, wie es ist. Alles fließt, so ist das Leben.

Danke fürs Zuhören.
Jürgen