Ja, vor einigen Generationen gehörte man tatsächlich zum alten Eisen, sobald man 50 war. Man war »verschlissen von harter körperlicher Arbeit, mangelnder Hygiene und nicht vorhandener Gesundheitsvorsorge.
Heutzutage unterziehen wir uns vorbeugenden Check-ups. Es gibt Krebsvorsorge und eine Ernährung, die der Gesundheit zuträglich ist. Und wir schuften bei Weitem nicht mehr so wie unsere Vorfahren, physisch wenigstens. Das hält uns frisch und so mancher 50-Jährige dürfte gut und gern noch mal annähernd die gleiche Lebenszeit vor sich haben. Und ich würde mich freuen zu denen zu gehören. Kein Grund also sich heute zu fühlen, wie man sich früher wahrscheinlich fühlte, wenn man ein derart bieblisches Alter erreichte.
Der Irrtum, dem ich als Pimpf unterlag, hat eine einfache Ursache. Ich wusste nicht, wie es sich anfühlt, so alt zu sein. Wie sollte ich? Zumindest falls ein berühmt gewordener Mitarbeiter des Berner Patentamts recht hat mit seiner Relativitätstheorie, ist Zeit nämlich nicht nur relativ, sondern auch eine Einbahnstraße. Das bedeutet, man kann unmöglich einen Blick dahin tun, wo wir einst sein werden. Vielmehr müssen wir uns auf die Aussagen derer verlassen, die sich bereits dort befinden. Exakt darin liegt jedoch das Problem der Jugend. Das Grundprinzip in diesem Lebensabschnitt ist Zweifeln, nicht glauben, denn man ist jung und später ist sowieso alles besser.
Und ja, diese Meinung ist richtig. 50 sein ist tatsächlich total anders als zu meinen Jugendzeiten vermutet. Zumindest was die äußeren Umstände angeht. Woher aber sollte man das damals wissen? Menschen sind nun mal grundsätzlich schlecht bei Voraussagen oder dem »in die Zukunft sehen«. Und das liegt nicht zwangsläufig an Herrn Einstein. Da jeder seine Erfahrung ohnehin selbst machen wird, spare ich mir weitere Erklärungen dazu, wie es ist, so alt zu sein.
Auch gibt es viel schlauere Aussagen zu dem Thema, als ich sie je machen könnte. Ein lateinischer Vers zum Beispiel, ein sogenannter Hexameter, erklärt das so: tempora mutantur, nos et mutamur in illis (die Zeiten ändern sich und wir uns in ihnen). Unter den antiken Gelehrten gab es in der Tat außergewöhnlich kluge Köpfe, die Einfaches in ihrer komplizierten Sprache zur grandiosen Wahrheit machten. Was ich hinzufügen möchte, ist, dass es sich saucool anfühlt, etwas reifer zu sein. Und genau darin hatte ich mich als Jungspund getäuscht und empfehle meine großartige Erkenntnis nun für jeden Einzelnen zum privaten Erleben. Freut euch schon mal drauf.
Warum aber assoziieren wir mit Älterwerden so oft so negative Dinge? Das dürfte wohl daher rühren, dass wir Menschlein stets und ständig vergleichen müssen. Der Philosoph Kierkegaard sagte »Vergleichen ist der Anfang der Unzufriedenheit und das Ende des Glücks«. Recht hat er, finde ich. Beim Altern kommt der Gegenüberstellung sogar eine besondere Rolle zu. Der Mensch kann Zeit nämlich unmöglich fühlen. Es gibt weder ein Organ noch einen speziellen Sinn, der diese Größe direkt wahrnimmt oder misst. Die innere Uhr ist deswegen eher ein inneres Vergleichsinstrument. Verstehen können wir Zeitspannen nur, indem wir eine mit einer anderen ins Verhältnis setzen.
Der längste uns bekannte Zeitraum ist unser bisheriges Leben, die Spanne zwischen Geburt und jetzt. Und je älter wir werden desto mehr kommt zusammen. Ein Tag hingegen hat stets 24 Stunden, ein Jahr 365 Tage. Vergleichen wir diese Zeitabschnitte nun mit der ständig wachsenden Lebenszeit, entsteht der Eindruck, dass die Einheit mit der fixen Dauer, Tag oder Kalenderjahr, kürzer wird. Anscheinend verrinnt die Zeit daher immer schneller. In Wirklichkeit liegt das aber lediglich an der zunehmenden Größe des Vergleichszeitraums Lebensalter. In der Kindheit braucht es dadurch eine Ewigkeit von einem zum nächsten Geburtstag. Mit 50 geht es ruck zuck und mit 100 ... Stopp! Hier ist eindeutig zu viel Zukunft im Spiel und beim Blick dorthin sind wir nun mal schlecht. Also lasse ich das lieber.
Vergleichen ist der Anfang der Unzufriedenheit sagt Kierkegaard. Und das gilt offenbar für alle Bereiche. Unser popeliges Auto, das im Schatten der Protzkarre des Nachbars ärmlich dreinblinzelt, die Handtasche, die Schuhe, die Intelligenz, die Fitness oder der Computer. Stellen wir beispielsweise fest, dass jemand gleichen Baujahrs jünger aussieht als wir, naja, so richtig glücklich macht das niemanden. Stets hat irgendjemand Besseres zu bieten und das lässt uns minderwertiger erscheinen und in der Folge zweifeln, wenn auch manchmal sehr leise.
Vergleichen wir, können wir nur verlieren, denn es gibt immer mehr, irgendwo. Anscheinend liegt uns diese Untugend jedoch in den Genen. Vielleicht rührt sie ja daher, dass wir nicht in der Lage sind, Dingen von uns aus einen Wert beizumessen, weil wir kein eingebautes Wertesystem haben. Evolutionsrelevant waren nämlich nur Nahrung, Physis, Fortpflanzungs- und Anpassungsfähigkeit, nicht Dollar oder Euro. Genau wie bei der Zeit, die mit dem Alter schneller zu verrinnen scheint, könnte auch bei diesen »Fantasiewerten« eine Täuschung vorliegen. Wahrscheinlich, ist dieses ganze »Wert beimessen« an sich der Irrtum. Wie wär‘s, probieren wir mal etwas weniger zu vergleichen? Viel Spaß beim Versuch.
Danke fürs Zuhören!
Jürgen