Freitag, 11. April 2014

Zuviel zerreißt den Sack

Kurz vor Weihnachten beobachtete ich eine junge Kollegin, die nach Feierabend vor ihrem Computer sitzend in hohem Bogen Jelly Beans in die Luft warf und sie mit dem Mund auffing. Anschließend kaute sie genüsslich und man sah förmlich, wie sie die bunten Bonbons liebt. Da das Büro ansonsten leer war, schaute ich ihr ein Weilchen zu. Dann stand ich auf, um mich zu verabschieden. Sie erschrak. Offenbar war ihr entgangen, dass der Chef noch da war. Ich beruhigte sie und fragte nach den kleinen Kullern. »I would die for them« (ich würde dafür sterben) antwortete sie, und als ich mich im Gehen umsah, flog schon die Nächste durch die Luft.

Es ist erstaunlich, wie sehr wir Menschen uns über so winzige Dinge freuen können. Ab da wusste ich jedenfalls, wie ich die junge Kollegin glücklich machen könnte, falls das einmal nötig werden sollte. Einfach immer mal einen solchen Minidrops hinwerfen, den sie mit dem Mund fängt und sie ist happy. Natürlich klappt das nur hypothetisch, im Prinzip stimmt es trotzdem.

Was aber müsste ich tun, um sie superglücklich zu machen? Alle 10 Sekunden eine Geleebohne werfen? Dann fände die Freude wohl schnell ihr Ende und das Lächeln verginge ihr. Eine ganze Wagenladung über sie gekippt und sie ginge wahrscheinlich in die ewigen Jagdgründe ein. Was ist das nur für ein seltsames Ding? Sachen, die wir mögen und die uns eigentlich erfreuen, steigern die Lust nur, wenn wir die Dosis richtig wählen. Mehr, und es passiert sogar das Gegenteil.

Zuviel zerreißt den Sack stand auf einem Bild, welches in meinem Kinderzimmer hing. Darauf war Eulenspiegel mit einem riesigen Bündel auf dem Buckel, das gerade zerriss, da es so übervoll war. Der Schelm blickte erschrocken drein. Weil selbst die Menschen im Mittelalter schon um diesen Zusammenhang wussten, ist das für uns aufgeklärte Zeitgenossen natürlich ein alter Hut. Klar tut nach zu viel Essen der Bauch weh, nach zu viel Wein der Kopf und in zu viel Wasser kann man ertrinkt. Sogar der gierige König Midas begriff schnell, dass zu viel Gold ihn tötet.

Daher ist es oft schwer verständlich, dass wir trotzdem auf fast allen Gebieten immer mehr wollen. Schaun wir uns um, boomen Diäten heutzutage, weil Fettleibigkeit ein echtes Problem darstellt. Ähnlich sieht es beim Alkoholmissbrauch aus. Auch ich hatte meine Erfahrungen mit beidem. Der Grund für solch unverständliches Verhalten ist einfach. Jeremy Bentham, ein Philosoph nannte ihn die menschlichen Grundkonstanten: das Vermeiden von Schmerz und das Streben nach Glück.

Wir merken, dass Pizza klasse schmeckt und uns ein bisschen glücklich macht, also bestellen wir die Maxi mit Extra Hollandaise. Offenbar meint man, dass eine größere Menge vom Guten den Lustgewinn in irgendeiner Art steigert. So ähnlich ist es in ganz vielen Bereichen des Lebens. Schuhe bei Frauen, Autos bei Männern, Küchengeräte bei Hobbyköchen, bei mir waren es Hemden und Laufschuhe. Wohl die Meisten beobachten an sich die Neigung, von irgendetwas oder gar von allem mehr und Hochwertigeres besitzen zu wollen. Das ist der bewusste Teil. Der Unbewusste lässt uns glauben, das wir uns mit diesem »mehr« besser fühlen und dadurch Glücksgefühle entstehen. Die Wahrheit jedoch ist anders und ebenfalls lange bekannt.

Schaut man auf die Teller im Gourmetrestaurant, findet man ein Beispiel dafür. Die Portionen sind winzig, trotzdem die Speisen sich in den meisten Fällen für nur sehr wenig Geld deutlich üppiger servieren ließen. Köche nutzen offenbar bewusst, was meine Kollegin in Auckland instinktiv tat. Sie dosieren das Glück. Denn, was in Mengen und immerzu verfügbar ist, verliert seinen Reiz und trägt nicht mehr zum Wohlbefinden bei. Wenn das Leben eine Ebene ist, dann besteht Glück aus den kleinen Hügeln, die daraus hervorragen. Je höher jedoch die Ebene liegt, um so größer müssen natürlich die Berge sein, die das Außergewöhnliche, glücklich Machende bedeuten.

Es gibt Menschen, bei denen sich das Lebensplateau auf so riesigem Niveau befindet, dass kaum Dinge existieren, die darüber hinaus ragen. Das sind jene, für die Tausende Euro teurer Champagner in Flaschen gefüllt wird, Autos für irrwitzige Summen auf die Räder gestellt werden oder Privatjachten in der Dimension von Panzerkreuzern fahren. Weil auch diejenigen das Streben nach Glück treibt. Trotzdem schaffen sie es nur selten Highlights zu setzen und somit fühlen sie sich trotz ihres exorbitanten Lebensstandards oft niedergeschlagen.

Forscher haben bewiesen, dass ab einem Jahreseinkommen von 20.000 US Dollar (ca. 14.500 Euro) der Glückszuwachs durch Mehrverdienst nahezu null ist. Die glücklichsten Menschen leben daher nicht überraschend in armen Ländern, weil es dort leicht ist, das niedrige Alltagsniveau mit Glückshügeln zu durchbrechen. Costa Rica, Vanuatu, Indonesien oder Vietnam tauchen immer wieder an der Spitze der einschlägigen Statistiken auf. In unseren westlichen Demokratien hingegen steigt die Zahl der Depressiven und die Zufriedenheitswerte liegen auf geringem Niveau.

Was tun? Ich finde, die Lösung ist ziemlich einfach. Versuchen wir mal uns mit weniger zufriedenzugeben. Es ist kein Problem, wie ich aktuell während meiner Fastenkur feststelle. Vor 8 Tagen begann ich und fühle mich heute so großartig, wie schon lange nicht, fast überschwänglich. Ich denke das ist ein direktes und beweisbares Beispiel dafür, dass »Weniger« mehr ist. Nun ist Dauerfasten nicht wirklich eine Option, aber der Idee zu folgen, ist möglich, jeden Tag und nicht nur beim Essen. Alle haben wir Dinge um uns, die belasten. Sie loszuwerden ist so was Ähnliches wie Fasten. Ich jedenfalls werde danach leben. Damit die Hügel wieder Berge werden.

Viel Spaß beim Ballast abwerfen.
Jürgen

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