Dienstag, 10. Juni 2014

Die Welt ist verrückt!

Sprechend treten wir von Kindesbeinen an miteinander in Austausch. Später lernen wir Fremdsprachen, damit wir die Zahl unserer potenziellen Interaktionspartner vergrößern. Das Leben ist Verständigung. Soviel ist klar. Wer wollte sich schon eine Welt ohne Worte vorstellen und ohne Buchstaben, die den Inhalt des Gesprochenen konservieren? Niemand würde Platon kennen, Walter von der Vogelweide und Einstein.

Kein Zweifel, was die Erfindung des Rades für die Formel 1 war, ist Kommunikation für die menschliche Zivilisation. Mittels Sprache tauschen wir uns seit Anbeginn der Zeit zu jeglichen Umständen auf Erden aus. Manches Geschriebene heben wir lange auf, anderes verschwindet schneller als die Tinte zum Trocknen braucht. Ewig schon geht das so. Wir Menschen sind nun mal kommunikative Wesen. Und kreativ.

Wir haben herausgefunden, was man tun muss, um auf 7 Milliarden Kreaturen unserer Spezies anzuwachsen. Wir haben gelernt, wie Wirtschaft funktioniert. Wir machen Arbeit zu Geld und dieses zu Freude oder Leid. Manche leben flach und unaufgeregt, andere chaotisch. Wir erleiden Niederlagen genau, wie wir Erfolge feiern. Und über all das tauschen wir uns aus. Seit wir jedoch ständig mehr werden und dadurch das Volumen des Austausches immer größer, und man obendrein entdeckte, dass Information einen Wert besitzt, geschehen verrückte Dinge. Und seitdem sich Informationsmengen in Bits und Bytes messen lassen, potenzierten sich die Verrücktheiten.

Daten, wie wir digital aufbereitete Informationen heute auch nennen, haben die Macht, die Wirtschaft ins Straucheln zu bringen und Staaten ins Wanken. Auf CDs gepresst, treiben sie Steuersünder zum Finanzamt oder gar in den Freitod. Sie haben die Kraft Partnerschaften zu begründen, genauso wie sie sie zu beenden vermögen. Der Umgang mit dem gespeicherten Wort spielt allerdings eine höchst zweifelhafte Rolle in der Welt, seit es das geworden ist, was einst Gold und Edelsteine waren.

Facebook zum Beispiel weiß was wir sehen und wie wir aussehen und es kennt Vorlieben und Aktivitäten von Hunderten von Millionen Menschen. Amazon überwacht unsere Kaufgewohnheiten besser als wir selbst, denn sein digitales Gedächtnis hat den Vorteil nie zu vergessen. Und Google ist so angelegt, dass keinerlei Daten jemals wirklich verloren gehen können. Mit »Löschen sie nie wieder eine E-Mail« bewarben sie ihre Dienste. Und neben den kommerziell ausgerichteten Anbietern gibt es unzählige staatliche Datenkraken wie Regierungen und ihre Geheimdienste.

Unsere Ahnen transportierten das Wort noch von Mund zu Ohr. Sprachen sie lauter, erfuhren mehr Menschen davon. Indianer übermittelten Neuigkeiten per Rauchzeichen und damit über größere Entfernungen. Reiter und Postkutschen beschleunigten diesen Prozess und vergrößerten die überbrückten Strecken. Mit der Entdeckung des elektrischen Stroms und des Umstandes, dass er blitzartig an jedem Ort sein kann, begann eine Revolution. Als Konrad Zuse in Bad Hersfeld 1937 die erste auf Nullen und Einsen basierende Rechenmaschine entwickelte, ahnten weder er noch irgendjemand sonst, die Konsequenzen. Im Zusammenspiel mit dem von Tim Berners-Lee in der Schweiz erfundenen HTML explodierten die Möglichkeiten des Austauschs im Internet geradezu und unser Kommunikationsverhalten wurde in eine neue Ära katapultiert.

Seit einiger Zeit beobachte ich schon, wie ich persönlich, aber auch meine »Cyberfreunde« mit den Segnungen des digitalen Zeitalters umgehen. Wie oft greife ich zum iPhone? Wie oft lese und schreibe ich in Whatsapp, Facebook, Gmail, Twitter, Instagram, Youtube oder Google Plus und warum? Wem nützt es, wenn ich auf diese Dienste zugreife? Die Frage des Nutzens lässt sich leicht klären. Ich bin einer von 850 Millionen Facebookern, aus denen Mr. Zuckerberg innerhalb von 10 Jahren 24,5 Milliarden Dollar in seine Taschen extrahierte. Die Unternehmen, die ausschließlich mit Informationen arbeiten, also kaum Waren im klassischen Sinn produzieren, besitzen Milliardenwerte, die sie nur deshalb haben, weil wir sie verwenden (Google 195 Mrd., Microsoft 245 Mrd., Amazon 121 Mrd., Facebook 50 Mrd.). Ohne das kommentieren zu wollen, denke ich, dass »Wem nützt es« damit geklärt wäre.

Schwieriger zu beantworten war da schon die Frage »Was habe ich davon?« Zuerst versuchte ich zu ermitteln, welche Botschaften ich in den letzten Jahren via meiner digitalen Gadgets erhielt. Überraschendes Ergebnis, eine Lebensverändernde war darunter und einige, die sich als der Beginn von etwas Neuem oder das Ende von Altem herausstellten. Die Cyberwelt brachte eine Handvoll Menschen in mein Leben und unzählige Informationen, mehr oder weniger wichtig, mehr oder weniger erfreulich, kaum eine mit dauerhaften Auswirkungen. Aus diesen Gedanken entwickelte ich ein kleines Experiment.

Seit nunmehr sechs Wochen übe ich bereits Abstinenz. Zuerst zog ich mich langsam aus der Onlinewelt zurück, zuletzt radikal. Jeglichen Informationen, die sich übers Internet verbreiten, entsagte ich. Kein Facebook, keine News von zeit.de oder focus.de und zum Schluss sogar kaum noch Whatsapp und seine Geschwister. Nachrichten zu aktuellen Themen und zu Allgemeinem, verfolgte ich bisher täglich - man muss ja Bescheid wissen. Genau so denken und handeln wohl eine Menge Zeitgenossen.

Mein kleiner Selbstversuch brachte überraschende Ergebnisse, von denen ich heute die Ersten beschreiben möchte. Zuerst bemerkte ich zum Beispiel, dass ich oft fast reflexartig zum Handy griff, um irgendetwas zu checken oder zu googeln. Es dauerte über eine Woche, bis dies nachließ. Irgendwann vergaß ich mein iPhone dann zu Hause und verspürte trotzdem nicht die geringste Angst sterben zu müssen. Die Newsabstinenz ließ mich innerlich ruhig werden, viel ruhiger als meine Freunde. In den paar Tagen, die wir am Mittelmeer verbrachten, kümmerten und sorgten sie sich unter anderem um die Wirtschaftsdaten und den Einfluss der Ukrainekrise darauf. Ich möchte nicht ignorant erscheinen, aber als ich dies beobachtete, fragte ich mich, worin der Nutzen liegt, alles zu wissen, was es diesbezüglich zu wissen gibt. Die Wahrheit aus meiner Sicht sieht so aus, dass er nicht existiert. Absolut gesehen würde ich ihn tatsächlich mit Null bewerten. Die Welt drehte sich mit und ohne des Einzelnen Zutun und seine Teilnahme am Newskonsum.

Am positivsten fiel mir auf, dass ich plötzlich über Zeit verfügte. Ich lag in der Sonne, las drei tolle Bücher und hatte Muße mein Leben neu zu denken und zu ordnen. Ich sprach mit Freunden, und zwar von Angesicht zu Angesicht und nicht per Chat. Und ich kümmerte mich um meine Familie. All diese Dinge kamen zu kurz in den letzten Jahren. Viel zu kurz. Einen Teil der dafür notwendigen Zeit verschwendete ich nämlich mit einer Art Kommunikation, die ich mittlerweile ziemlich kritisch sehe. Es ist ein Geschäft geworden und daher wird via Internet Geld verdient. Allein unsere Teilnahme bringt Gewinne in Form von Börsenwert. Ist die Welt nicht verrückt?

Danke fürs Lesen.
Jürgen

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