Sonntag, 7. Dezember 2014

Neues aus Lummerland

Ein Samstag Nachmittag im Starbucks am Züricher Bellevue. Ein großer, schweinsteurer Cappuccino steht vor mir. Ringsum redet man halblaut, wie in den meisten Starbucks dieser Welt. Ich habe Zeit und Lust und werde darum endlich mal wieder etwas schreiben. Zum Beispiel könnte ich von Lummerland erzählen, weil ich Michael Ende mag und Lukas mit seiner Lokomotive. Oder von Zaphod Beeblebrox, mit dem ich kürzlich Per Anhalter durch die Galaxis reiste. Oder zur Abwechslung mal von gar nichts.
Ich glaube tausende Schreiberlinge in aller Welt haben täglich dieses Problem, wenn sie die unendlichen Weiten der Presselandschaften mit neuen Pflanzen und Pflänzchen füllen müssen. Schreiben und nichts sagen ... da hab ich es einfacher. Mir genügt es schon, mal wieder meinen Gedanken nachzuhängen, sie fließen zu lassen und ihnen via Tastatur Gestalt zu verleihen. Ich liebe es!

Lust dazu habe ich seit Wochen, tierische sogar. Allein, es gab zu viel zu tun, zu viel Neues, zu ... Quatsch, alles Ausreden. Ich war einfach zu faul. Teils, weil mich das Neue in meinem Leben gefangen nahm, wie kaum etwas zuvor. Teils aber auch, weil ich irgendwie leer war. Ich hatte nichts zu erzählen. Wahrscheinlich ging die Energie, die sonst meine Gedanken antreibt, dafür drauf, mich an die neue Lebenssituation anzupassen. Dabei fiel mir das früher so leicht.

Ja, früher ... da hatten wir auch noch zwei deutsche Staaten und noch früher sogar einen Kaiser. Früher war ich auch jünger. Genau hier liegt wohl eines meiner Problemchen. -chen, weil richtige habe ich derzeit nicht. Jedoch bin ich „üfü“. Spricht man dieses niedliche Wörtchen aus, „über fünfzig“, klingt es nicht mehr sooo lustig. Allerdings nur die ersten hundert Male. Mittlerweile bin ich angekommen in meinem aktuellen Lebensjahrzehnt. Oma Anna sagte immer, man muss vier Jahreszeiten miteinander verbracht haben, dann weiß man, ob es gehen wird. Die Fifties und ich sind nun seit über einem Jahr zusammen. Und wir sind o.k. Von mir zumindest weiß ich das sicher. Ob sie mich mögen? Gewisse Zweifel habe ich da schon.

Fünfzig Jahre ... als ich zwanzig war, oder auch mit dreißig noch, war ich überzeugt, dass das Leben in diesem Alter nahezu vorüber sei. Keine Vitalität mehr, wenig Spaß und beginnende Alterssenilität. Und Sex? Wie bitte? Wovon reden sie? Genau so sah ich das damals bei „den Alten“, oder wollte es so sehen. Ich meinerseits strotzte vor Lebenskraft. Alles drängte raus aus mir. Manchmal sogar alles gleichzeitig. Oft endete das mit Blödsinn. Na und? Ich war jung, die anderen alt. Sie würden früher sterben als ich. Wahrscheinlich, zumindest statistisch. Also war ich der Sieger. Das war meine Wahrheit. Damals. Jedoch änderte sie sich. Mit ihr ist es nämlich wie mit der Zeit, sie ist nie absolut. Mein Mathedozent beim Studium - lieber Herr Weiß, Gott habe sie selig - hätte hier bestimmt eine seiner berühmten Schlauheit vorgebracht. Beispielsweise, „wie wir alle wissen, ist die Wahrheit eine Funktion der Zeit“. Und keiner von uns Studentchen hätte ihn verstanden. Manche Hirnregionen öffnen sich eben erst im fortgeschrittenen Lebensalter.

Hier im Starbucks sitzen ich inmitten von Schaaren nicht voll entwickelter Studentenhüpfer, solchen, wie wir es damals waren. Könnten die ahnen, welch coole Zeit ich gerade erlebe? In meinen Fiffties. So fühle ich mich und so soll es bleiben. Das wünsche ich mir. Allerdings weiß ich, dass das nicht geht. Schließlich bin ich „üfü“, habe Erfahrung und weiß deswegen mehr als die Jungen. Ich weiß zum Beispiel, dass die Meisten, die hier um mich sitzen, irgendwann vor Liebeskummer heulen werden, und seien sie noch so verliebt. Und das sie Tränen vergießen werden, nur weil die Wege, auf denen man für gewöhnlich Freude raus lässt, nicht breit genug sind. All solchen Quatsch habe ich gelernt in den letzten fünfzig Jahren. Und darum weiß ich, dass mein derzeitiges Hochgefühl auch nur zeitweise bleiben wird. Nicht schlimm, that´s life.

Es gab eine Zeit, in der ich aufbrach, voll mit Hoffnung. Ohne mein Leben zu ändern, das wusste ich, wäre ... ich will nicht spekulieren, aber ... ich säße definitiv nicht hier im Café und würde schreiben, was mir durch den Kopf schwirrt. Und meine, mir immer noch angeheiratete Frau, würde nicht auf den Balearen leben. Neben Optimismus gab es damals Ungewissheit und ein Bisschen die Ahnung, dass es anders werden wird.
Dieser Ausgang war wohl Teil des Planes, den wir nicht hatten, da er in den Hirnarealen geschrieben stand, die sich erst jetzt langsam öffnen.

Wir haben uns beide eingerichtet in den neuen Rollen. Ich wollte nicht allein bleiben, darum suchte ich wieder nach einer Partnerin. Ich fand im Internet. Wo sonst? Heutzutage und über fünfzig. Meine Freundin ist ein wundervoller Fund. Wahrscheinlich auch ihretwegen fühle ich mich wohl in meinen Fifties. Aber über Internetdating erzähle ich ein anderes Mal. Da habe ich so viel erlebt, dass es ein ganzes Buch füllen würde. Ob meine (Noch-) Frau fand, was sie suchte, weiß ich nicht. Und das ist auch gut so.

Gelandet bin ich in der Schweiz. In Basel, um genau zu sein. Warum? Wegen eines Hadhunters. Wegen der Arbeit. Weil ich Geld brauche und weil ich in meiner Heimat im Moment nicht leben möchte. Darum ist die Schweiz ein guter Platz. Viel besser als Neuseeland, wenn auch nicht halb so schön. Ich bin innerhalb weniger Stunden zu Hause bei meiner Familie. Jedem, der Probleme mit seinen Angehörigen hat, mit dem Verhältnis zu ihnen, empfehle ich eine Weile nach Neuseeland zu gehen. Die Entfernung richtet so was. Man versteht plötzlich: Familie ist das Beste.

Die Riesentasse Cappuccino ist leer. Ich noch nicht. Trotzdem höre ich für heute auf. Danke, dass du meinen Blog wieder mal gelesen hast. Auch wenn ich so lange Pause gemacht habe. Ich wollte von Lummerland erzählen, und obwohl ich kein Wort über die Insel auf der die Lokomotiven reden schrieb, ging es doch darum. Um mein Lummerland, unser Lummerland. Die ganze Welt ist so unglaublich lummerig, manchmal möchte man sie einfach umarmen. Und manchmal im Klo runter spülen. 

Liebe Grüße
Jürgen

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