Mittwoch, 24. Dezember 2014

Weihnachtshorizonte

Während meiner letzten zwei Weihnachtsfeste war es warm und der Sommer begann. Das ist so in Neuseeland. Ich schrieb damals auch. Sicher, weil mich die heimelige Weihnachtsstimmung dazu animierte, genauso wie zu üppigstem futtern. Seinerzeit erzählten die Blogs von „26 Grad Weihnachten“ und im vergangenen Jahr von Träumen, den gecrashten und den neuen. Dieses Jahr lebe ich nicht mehr auf der südlichen Halbkugel. „Back to normal“ könnte man sagen und so sollte meine diesjährige Weihnachtsgeschichte eigentlich auch heißen. Denn, so langsam muss doch mal Schluss sein mit „Unterwegs“. Meinen meine Eltern zumindest.

Nur wollen wir Menschen sehr oft das, was wir nicht haben. Bei mir waren das die Horizonte, hauptsächlich die weit entfernten. Vor allem am Meer gibt es die und ich wuchs im Mittelgebirge auf. Die DDR verfügte in Fragen Weite ohnehin nur über begrenzte Angebote. Alle Wege endeten nicht weit nach dem Start. Zumindest wenn man die Größe des Kontinents, des Erdballs oder des Lebens zum Vergleich nimmt. Bewusst hat das im Osten nicht so viele gestört. Im Unterbewusstsein, und vor allem als die Grenzen fielen und die Räume wirklich weit wurden, bemerkte man den Unterschied um so mehr.

Seit dem begann ich, den Horizont zu erkunden. Doch jedes Mal wenn ich ankam, war dieses Ding nicht mehr da. Es war weiter gerückt und mich zog es hinterher. So wahr, wie das fürs Reisen ist, ist es im Übrigen für fast alle Bereiche des Lebens. Entdeckte ich irgendwo in der Ferne eine Grenze, die es zu erreichen wert schien, hielt ich darauf zu. Erreichte ich sie, schwupp, war sie weg. Beispiel gefällig? Ein Jahr nach dem Ende meiner Laufbahn in einem sozialistischen Betrieb, in der ich kaum mehr war als ahnungslos, startete ich mit Vater und Bruder eine eigene Firma. Die Möglichkeit tauchte am Horizont auf, also los. Drei Jahre später beschäftigten wir über 100 Mitarbeiter. Aber GmbH konnte ja jeder. Der Horizont war weiter gerückt. Und so gründeten wir die erste Aktiengesellschaft nach der Wende in Thüringen. Klar was ich meine?

Oft überlegte ich, ob das normal ist oder ob ich ein ausgesucht ungewöhnliches Exemplar Mensch bin. So was denkt man gern über sich. Ein solcher Gedanke streichelt die Seele. Allein, nach all den Jahren Leben muss ich bekennen, dass ich dies nie war und wohl nie sein werde. Dieses Streben zu den „Horizonten“ ist eine Eigenschaft, die in jedem von uns wohnt. In leicht unterschiedlicher Ausprägung natürlich. Niemals wäre Armstrong ohne sie zum Mond gelangt, nie wäre Penicillin entdeckt worden. Es gäbe aber auch kein Gewehr und keine sprengkopfbestückte Interkontinentalrakete. Der Drang ist nämlich richtungs- und vor allem regellos und bei mir wahrscheinlich sogar ein bisschen pathologisch.

Darum manifestierte sich diese genetische Programmierung in meinem Zustand „Unterwegs“. Er ist zu meiner Art des Daseins geworden. Mit ziemlicher Sicherheit trägt deshalb auch mein Blog diesen Namen. Ich kriege es nun mal nicht hin, auf dem Arsch zu sitzen, in die Apfelbäume zu schauen und auf das Nächste „Ding“ zu warten. Das geht nämlich meistens in die Hose. Dinger passieren nicht einfach. Man muss sie machen, sich darum bemühen, sonst ist Stillstand angesagt und man kommt dem Horizont nicht näher.

Heute aber ist Heiliger Abend. Ich freue mich wie Bolle auf ein Fondue Chinoise, das traditionelle Schweizer Weihnachtsessen, welches meine Freundin Lateinamerikanisch interpretieren wird. Ab morgen verbringe ich nach Jahren endlich mal wieder ein Weihnachtsfest mit meiner Familie. Ich werde Freunde treffen und all das tun, was ins Weihnachtsklischee passt, mit Lametta und Christbaumschmuck. Dann ist der Horizont ganz nah und ich muss mich kaum bewegen, um ihn zu berühren. Und danach? „Back to normal“ denke ich, zu meinem „Normal“.

Frohe Weihnachten. Ich wünsche Dir Glück, Gesundheit und das du erkennst, wo du hin willst, wo dein „Normal“ ist.
Danke fürs Lesen.

Jürgen