Montag, 12. Januar 2015

Bist du Charlie?


Tolles Bild! Soviel zum Thema Gottelästerung. Wäre da Mohamed abgebildet und nicht das Jesuskind, dann gäbe es echt Probleme. Aber trotzdem, ich bin nicht Charlie. Nie gewesen. Trotzdem bin ich traurig über das Attentat in Paris. Natürlich. Und auch ergriffen. Gleichzeitig frage ich mich, was in den letzten zwanzig Jahren mit dem Islam passiert ist und mit uns, den Menschen in den westlichen Ländern. Damals begegnete ich nämlich der heute so aktuellen Auseinandersetzung im Namen des Glaubens zum ersten Mal und seit dem erhöht sich Zahl der Konflikte ständig. Seinerzeit war es in Indonesien, wo ich in der noch wenig erschlossenen Inselwelt der Molukken herumtauchte.
Das ganze Erlebnis war aus zwei Gründen beeindruckend. Einerseits gab es eine kaum berührte Unterwasserwelt zu bestaunen, wie sie so wahrscheinlich kein zweites Mal auf dem Planeten existiert. Nur wenige Taucher bewegten sich in der überreichen Pracht und sie taten es mit äußerster Vorsicht. Unter der Wasseroberfläche war das Leben intakt und von betörender Schönheit. Andererseits waren es die Menschen, die Indonesier, welche mir höchsten Respekt abnötigten. Sie lebten naturnah von dem, was sie fischten und anbauten. Besucher in ihrer bescheidenen Welt betrachteten sie als Gäste. Dementsprechend behandelten sie uns.

Die Sprache der Einheimischen ist wegen der holländischen Kolonialvergangenheit leicht zu lernen und natürlich gibt es auf den vielen Inseln darum auch Christen. Außerdem begegneten mir erstmals eine nennenswerte Anzahl Moslems. Unterschiede ließen sich nur an der Kleidung ausmachen und daran, dass die eine Hälfte sonntags in der Kirche, und die andere freitags in der Moschee beteten. Geeint wurden sie aber durch ihr einfaches, zufriedenes Leben. Angehörige beider Religionen saßen zusammen am Tisch, und lachten gemeinsam. Es gab sogar Familien aus Christen und Muslimen. Alle lebten in friedlicher Eintracht und ich wette heute noch, dass nichts davon vorgetäuscht war.

Viel zu schnell endeten die fünf wundervollen Wochen, dann musste ich zurück ins winterlich kalte Deutschland. Bald nach meiner Rückkehr stieg Sonne höher und es wurde wieder wärmer. Ungefähr zu dieser Zeit berichteten die Medien von einer menschlichen Katastrophe, die sich auf den von mir besuchten Inseln ereignete. Christen und Moslems, die kurz vorher in friedlicher Eintracht gelebt hatten, schlachteten sich plötzlich gegenseitig aufs Barbarischste ab. Seinerzeit hielten Kameras noch nicht „voll drauf“, aber die Bilder taten trotzdem ihre Wirkung. Ich war schockiert, und zwar weit mehr, als von den aktuellen Nachrichten und Filmen aus Frankreich.

Es wollte mir einfach nicht in den Kopf, dass die freundlichen Indonesier sich innerhalb kurzer Zeit in brutale Killer verwandelt haben sollen. Ich fühlte mich wie von einem eiskalten nassen Lappen aus dem Schlaf gerissen und hatte keine Ahnung, was diese Katastrophe ausgelöst haben könnte. Zugegeben, das dortige Bildungsniveau war nicht besonders hoch und nach unseren Maßstäben lebte man unter ärmlichen Bedingungen aber reichte das als Grund für ein derartiges Morden?

Die Wahrheit aber war einfach. Sie wurde mir klar, als ich im vergangenen Frühjahr über dieses fast 20 Jahre alte Geschehen mit Einheimischen auf der Insel Java sprach. Trotzdem Indonesien an Katastrophen nicht gerade arm ist, war der Genozid von damals, allen noch gegenwärtig. Es gab unterschiedliche Meinungen dazu, jedoch kristallisierte sich nach einigen Gesprächen die vorherrschende heraus.

Die Christen der Gegend hatten offenbar wirtschaftlich ein etwas glücklicheres Händchen. Die Muslime waren die erfolgreicheren Politiker, verfügten also über mehr Einfluss. Dieser Gegensatz schwelte im Bauch des Volkes. Auf dem so vorbereiteten Boden ließ sich von jenen, die ihre eigenen Interessen verfolgten, leicht Hass säen. Prediger beider Seiten erklärten ihren Anhängern, dass der Andersgläubige weniger wert sei und gefährlich und man ihn darum vernichten müsse. Und schon begannen einige Fanatiker, sich gegenseitig abzuschlachten, sogar innerhalb von Familien. Nicht lang danach beteiligten sich breite Volksschichten am brutalen Geschehen. So einfach war das. Homo homini lupus - der Mensch ist des Menschen Wolf nannte Plautus das vor über 2.000 Jahren.

Das war schlimm damals, allerdings ist seither eine Menge passiert. Die Massaker in Paris konnten mich nicht wirklich schocken, weil ich mich an derartige Meldungen irgendwie gewöhnt habe. Es ist grausam, aber nach dem ersten Entsetzen über das Böse, stellt sich auch aufgrund der Art der Berichterstattung, die sich kaum noch von einer Fußballweltmeisterschaft oder Big Brother unterscheiden lässt, Normalität ein. Es sterben Menschen, ja klar. Wo sind die zerfetzten Körper? Die abgeschnittenen Köpfe? Nur erschossen? OK, dann machen wir mal weiter.

Nur bei dem, der sich vielleicht von Berufs wegen länger mit den Bildern auseinandersetzen muss, hält die Betroffenheit noch an.  Für alle anderen wird es kurz nach dem das Unaussprechliche geschah Banalität. Roger Federer spielt schließlich, Michael Schuhmacher wurde post Abtritt von der Bildfläche ein Preis verliehen und 270 Flüchtlinge ertranken im Mittelmeer. Ach ja, und PEGIDA streitet für die Erhaltung unserer christlich-jüdisch geprägten Abendlandkultur und für die dezentrale Unterbringung von Kriegsflüchtlingen. Aus derlei Gründen bekommen die Attacken, die geritten werden, um Hass gegen die westliche Welt auszudrücken oder um Rache zu üben, immer gewaltigere Ausmaße. Auch ein Attentäter muss sich schließlich seinen Platz im Reuters News Stream erkämpfen. 9/11, ja das war was. Aber mittlerweile steht ein neues Haus an der Stelle des World Trade Centers. Und die islamistischen Brutalokiller setzen Regisseure ein, um die Filme ihrer Gräueltaten möglichst effektvoll erscheinen zu lassen.

OK, Schluss mit dem Sarkasmus. Es geht mir natürlich nicht am Arsch vorbei, was da alles passiert, wenngleich ich weiß, dass es Zeitgenossen gibt, die so ticken. Ich frage mich da eher schon mal, wo denn der ganze Hass herkommt, der sich im Terror der Extremisten entlädt. Ich frage mich, warum die Wüstensöhne so scharf darauf sind, den Westlern die Hälse durchzuschneiden? Und warum das sogar zunehmend welche sind, die nicht in der Karawanserei aufwuchsen, sondern in unseren westlichen Gesellschaften, wo sie Bildung und viele sonstige Segnungen empfingen?

Und nun mag mich der eine oder andere der Christenschelte bezichtigen. Mir egal. Ich denke einfach, dass die Kreuzritter, die, die mit Schwertern auf weiß behangenen Pferden kamen und diejenigen, die mit Düsenjets und Flugzeugträgern kommen, die Moslems ganz schön wütend machen. Nicht mal ich kann verstehen, dass George Busch Angst vor Saddam‘s Chemiewaffen hatte und davor, dass er Atombomben ins Gelobte Land bringen könnte. Wie sollen sich da die fühlen, denen die Häuser zerschossen werden, die Angehörigen getötet und sämtliches Hab und Gut abhandenkommt? Weiter, 9/11 war eine Katastrophe, ein unentschuldbares Verbrechen. Aaaaaber, mindert es die Wirkung dieser Grausamkeit, wenn im Gegenzug das afghanische Volk jahrelang Kriegsqualen erleiden muss? Ich zumindest verstehe denn Sinn solchen Tuns nicht.

Das heißt, ich habe eine Vermutung, wo der wahre Grund liegen könnte. Allerddings habe ich keinerlei Beweise. Trotzdem glaube ich, das die Amerikaner entgegen ihrer Behauptung mit ihrer Kriegsmaschinerie ausschließlich die Werte der freien westlichen Welt verteidigen zu wollen, hauptsächlich nach den Schätzen der Länder schielen, die sie überfallen. Schließlich braucht die Wirtschaft Wachstum. Und was hilft da besser, als neue Märkte gewaltsam zu erschließen und neue Rohstoffquellen, oder Regierungen abhängig zu machen? Allein seit 1980 führten die USA 24 einzelne Kriege. Derzeit sind sie in 72 militärische Konflikte verwickelt. Dreiviertel davon werden gegen islamische Staaten gefochten.

Ich gebe gern zu, dass auch die Muselmanen ihre Erfolge im jahrhundertealten Kampf der Kulturen hatten. Da gab es zum Beispiel Saladin, der den Kreuzfahrern fast alle ihre Eroberungen wieder abnahm oder Kara Mustafa, der mit seinen Türken bis Wien vordrang. Insgesamt waren die Christen aber die erfolgreicheren Krieger und ritten mit ihren Pferdchen die Kamelarmeen in Grund und Boden. Schauen wir uns in der heutigen Zeit um, dann sehen wir Charlie Hebdo und ähnliche Zeitungen, welche die Pressefreiheit mit einer Erlaubnis zur Beleidigung verwechseln, in diesem Fall zur tödlichen Beleidigung. Bitte nicht falsch verstehen, es gibt keine Rechtfertigung für die verübten Verbrechen. Aber es gibt Gründe und dies ist sicher einer davon. Ein weiterer könnte Armmut sein. Mit Hilfe der Weltbank wird »geholfen«, wo Kriege als Mittel zur Eroberung nicht taugen. In den armen geholfenen Ländern erzeugt man dadurch eine wirtschaftliche Abhängigkeit, die der durch kriegerische Akte hervorgerufenen, kaum nachsteht.

Wen wundert es da, dass sich heute junge Männer, die auf der einen Seite die prosperierende Welt sehen, auf der anderen Seite ihre und die Armut ihrer Familien, radikalisieren lassen. Im Internet und im Fernsehen zeigen wir ihnen das Leben, welches wir führen, in Saus und Braus und sie vergleichen es mit ihrem. Sie erleben die Willkür, mit der ihre Länder ausgeraubt werden, und finden keinen Ausweg aus dieser Situation. Und sie sehen, dass ihr einziger Halt, ihr Gott, den sie Allah nennen, verspottet wird. Die Spötter begehen in ihren Augen damit ein Verbrechen, welches schlimmer als Mord ist. Für clevere Krieger des Islam ist es ein Leichtes, solchen ihrer Zukunft beraubten Jungs, Sprengstoffgürtel umzulegen und Entsetzen in die Welt tragen zu lassen.

Ich verteidige niemanden, ich sage nur, es gibt Gründe für das, was wir da draußen zunehmend als eine Art Krieg zwischen Ost und West erleben. Ich bin weder Christ noch Moslem. Mir ist die eine Glaubensrichtung so lieb wie die andere. Mir ist der Glaube an sich lieb, da er Liebe in sich birgt und Hoffnung. Missbraucht wurden Religionen seit alters her und das ist es, was hier auch heute passiert. Unsere Rettung in diesem Konflikt kann nur sein, dass Muslime Toleranz lernen. Sie sollten akzeptieren, dass westliche Kulturen immer wieder gegen ihre archaischen Gesetze verstoßen werden. Und das die Rache, zu der sie ihr Prophet verpflichtet, nichts besser macht. Wir hingegen müssen Achtung lernen. Davor, dass auch fremde Völker ein Recht auf ihre eigenen, vielleicht von unseren völlig abweichenden Regeln haben, egal wo sie leben. Und Achtung vor ihrer Souveränität, auch die müssen wir lernen. Ausbeutung und Annektierung sind wie Rache ein Mittel vergangener Jahrhunderte. Darum hoffe ich, dass die Nachwehen der Attentate von Paris, die vielen Solidaritätsbekundungen und Erklärungen zukünftig alles besser machen zu wollen, Auswirkungen haben. Genug Charlies gibt es ja mittlerweile. Allerdings habe ich da meine Zweifel, denn auch nach 9/11 änderte sich nichts, im Gegenteil.

Schaffen wir es nicht, wird die Härte der Auseinandersetzungen zunehmen. Es ist schlimm, wenn Menschen sterben, aber der Krieg der Zukunft und besonders der zwischen östlicher und westlicher Lebensweise, dürfte noch schlimmer werden. Er könnte sich auf andere Schlachtfelder ausweiten. Vor allem bietet der Lebensnerv unserer Zeit, das Internet, unglaubliche Möglichkeiten für Terroristen. Potentielle Auswirkungen überlasse ich deiner Fantasie. Ich zum Beispiel glaube, dass der erste Anschlag auf ein Atomkraftwerk nicht mit Sprengstoff oder abstürzenden Flugzeugen erfolgen wird. Jeder von uns kann sein Teil dazu beitragen, dass die Gefahr kleiner wird. Zeitungen mit Islamkarikaturen muss man nicht kaufen, wenngleich die freiheitliche Grundordnung und die Pressefreiheit es zulassen würden. Wir müssen auch nicht gegen eine Islamisierung des Abendlandes demonstrieren, weil dies nichts außer Hass produziert. Probieren wir‘s mal mit Menschlichkeit und beweisen, dass sich unser Charakter in den letzten zweitausend Jahren ein Stück weit vom Wolf weg bewegt hat.

Danke fürs Lesen.
Viele Grüße
Jürgen