Freitag, 13. Februar 2015

Kleiner geworden

Über eine Woche bin ich schon krank. Und ich meine wirklich krank. Ich hatte Fieber und so starke Schmerzen, dass ich nur schlafen mochte. Nun verstehe ich auch, warum es Grippeschutzimpfungen gibt. Grippe ist nämlich übel und tut weh. Der grippale Infekt, der uns üblicherweise immer mal heimsucht, hat mit dem „Original“ nichts zu tun. Im kommenden Winter lasse ich mich jedenfalls impfen. Ganz sicher. Na gut, nun weiß ich auch, was eine echte Influenza ist, wenngleich ich auf die Erfahrung gern verzichtet hätte.

Vielleicht des Fiebers wegen träumte ich einige Male recht lebhaft. Es ging dabei auch um etwas, dass vor genau einem Jahr passierte. Damals bin ich aus Neuseeland ausgewandert, nachdem ich erst zwei Jahre vorher eingewandert war. Schweißausbruchtraum! Angekommen war ich mit einer Ehefrau, einem Container voll Hausrat und einem Kopf voller Träume. Wegwärts war ich alleine, hatte einen Rucksack auf, Jeans und Wanderschuhe an und auch den Kopf voll Träume, aber andere. Ich stieg in ein Flugzeug Richtung Sydney. Damit kehrte ich dem Land den Rücken, dass unsere neue Heimat werden sollte. Dieses „uns“ hatte sich auf Wunsch einer einzelnen Dame aufgelöst. Also entschloss ich mich, die zugehörigen Besitztümer auch aufzulösen. Sechs Wochen hatte ich dazu sortiert, weggeworfen, verschenkt und verkauft, was sich während 15 Jahren in einem Haushalt ansammelt. Was blieb, passte auf 2.5 Quadratmeter und liegt heut immer noch im National Mini Storage in Penrose auf der anderen Seite der Erde. 

Das Gepäck, welches meinen 70 Liter Rucksack bei der Abreise einigermaßen füllte, war überschaubar: eine Jacke, lange und kurze Hose, zwei Hemden, 5 T-Shirts, ein Handtuch, Slips, Flip-Flops, meine Asics Laufschuhe, Sportsachen und einige andere Kleinigkeiten. Das war‘s, Minimalausstattung eben. Damit verbrachte ich ein paar Monate in Malaysia, Indonesien und an der deutschen Ostseeküste. Manchmal kam das Weltreisefeeling zurück, welches ich in den Jahren zuvor sammeln durfte. 

Seit letztem Juli arbeite und wohne ich nun in Basel. „Back to normal“ könnte man denken, wenn ... Ja genau, wenn da nicht die Umstände wären, die trotz vermeintlicher Normalität, so ganz und gar nicht normal sind. Ich schrieb im vergangenen Jahr einige Male darüber, dass Minimalismus ein interessantes Lebenskonzept wäre, das also weniger mehr ist und das es sich mit leichtem Gepäck gut reist. Das war damals Theorie und in Fragen des Reisegepäcks, frisch erlebte Praxis. Heute blicke ich auf ein Jahr „Minimal“ zurück, auf ein Jahr ohne vieles von dem, was den meisten von euch unentbehrlich scheint.

Ich wohne zum Beispiel auf 27 spärlich möblierten Quadratmetern. Meine (Rucksack-) Garderobe hat sich arbeits- und winterbedingt um einen Anzug, einige Hemden und drei Pullover erweitert. Auch eine Daunenjacke, zwei Jeans und ein Paar Winterschuhe, Mütze und Handschuhe sind dazu gekommen. Das war‘s! Keine Schubfächer voll Dinge, kein gefüllter Kleiderschrank, kein Keller voll mit Fahrrädern, Werkzeug, eingekochtem Obst und Gemüse, keine umfänglichen Porzellan- und Gläsersammlungen. Und nicht einmal ein Auto. Seit einem Jahr verzichte ich auch bewusst auf dieses, mir einst so wichtige Statussymbol.

Allein der Gedanke an Echtes „Minimal“ war anfangs ziemlich schräg. Aber ich wollte es wissen. Ich wollte verstehen, was es ist, dass uns diese Unmenge Besitztümer anschaffen und unser Leben damit beschweren lässt. Oder brauchen wir sie sogar, um zufrieden zu sein? Nach einem Jahr kenne ich die Antwort, zumindest die die für mich stimmt. Ich brauche nicht mehr als ich derzeit habe. Und es geht nicht mal nur um das Brauchen, es geht um das Wollen. Ich will nicht mehr! Seit ich dies so sehe, geht es mir in vielerlei Hinsicht besser. Ich habe verstanden, dass der größte Teil dessen, was ich früher besaß, nur da war, um mich zu präsentieren, weil ich anderen ein bestimmtes Bild von mir vermitteln wollte. Genau so taten und tun es diese anderen ja auch. Die Dinge, die man wirklich braucht, die Freude ins eigene Leben bringen, sind wenige. Ich nenne sie Lieblingssachen.

Jeder von euch kennt sie. Wir ziehen sie nicht so oft an, da sie sonst schnell verschleißen. Tragen wir sie aber, machen sie uns gute Laune. Mein Leben besteht nur noch aus Lieblingssachen. Und zwar nicht nur auf die Kleidung bezogen. Ich besitze nur noch, was mir Freude macht. Jahrelang waren mir beispielsweise diese schnuckeligen Apple Computer zu teuer. Heute habe ich einen und frage mich, warum ich dies nicht schon vor Jahren getan habe. Ist ein Mac-Book nun minimal? Ja, ist es, weil minimal nicht Armmut bedeutet, sondern Reduktion auf das Wesentliche. Für mein Leben brauche ich derzeit so wenig Geld, dass es mir nicht schwerfiel, dieses doch recht teure Gerät anzuschaffen. Die Freude bei jedem Griff auf die Tastatur zeigt mir, dass der Kauf eine goldrichtige Entscheidung war. Lieblingssachen eben ...

Die Sache mit dem Auto ist auch ein wichtiger Punkt. Auch hier geht es um sparen. Aber nicht nur Geld, sondern auch Verbrauch. Muss ich Benzin verbrennen, um aus dem Supermarkt Nahrung nach Hause zu transportieren, für deren Transport um die halbe Welt, bereits Unmengen Treibstoff verbrannt wurden? Ich denke nein.  Mittlerweile kaufe ich auf dem Markt bei regionalen Bauern. Und ich schleppe die Sachen von dort heim. Das entspricht der Natur der Nahrungsbeschaffung. Diese war eine Million Jahre lang anstrengend. Heute brauchen wir Diäten und Fitnessstudios, damit genau diese fehlende Anstrengung uns nicht umbringt. Ich kaufe auch beim Türken an der Ecke. Zugegeben, das ist teurer als im Supermarkt, aber ich kann mit ihm quatschen und helfe mit meinem Einkauf seinem Überleben. 

Kurioserweise glaubte ich früher, dass ich ohne Auto Probleme bekommen würde, alles zu erledigen. Auch ein Irrtum. Öffentliche Verkehrsmittel und Laufen sind in der Summe weitaus effizienter im Zeitverbrauch. Ich habe also auch dadurch heute mehr Zeit als vorm Einläuten von minimal. Schaut man auf den Platzbedarf. Mir reichen 27 Quadratmeter Wohnfläche, weil ich nicht mehr Möbel besitze und nicht mehr Dinge um sie in mehr Schränke hinein zu legen. Ich muss weniger in Ordnung halten und habe daher nochmal mehr Zeit. Darin liegt wohl der wahre Reiz von minimal. Zeit ist zwar nur ein Vehikel, das wir Menschen erfunden haben, um dieser unverständliche Unendlichkeit ein bisschen Sinn zu geben, trotzdem ist sie es, die uns treibt und Schnelllebigkeit und Reizüberflutung erst wahrnehmbar macht. Mehr Zeit ist Luxus!

Ich möchte nun nicht behaupten, dass ich nach den 12 Monaten meines Experiments den Stein der Weisen gefunden hätte. Nicht mal einen Kiesel. Aber ich habe mich ans „Nichtshaben“ gewöhnt. Und ich darf hier öffentlich bekennen, dass es gut tut. Sehr gut sogar. Der Zustand erinnert mich an viele Monopolyrunden in meiner Jugend. Beim Spiel der Spiele geht es darum zu scheffeln. Man lernt, dass der, der viel hat, auch das Meiste bekommt. Das ist das Ziel, dem alle nachrennen. Ein großartiges Bild für unsere Gesellschaft, oder? Meine Spiellust, die Lust auf mehr, endete immer ziemlich früh. Nach ein paar Runden verkaufte ich all den zusammengerafften Besitz. Ich konnte dann nicht mehr mitspielen. Klar. Ich musste aber auch nicht mehr raffen. Und das tat mir schon damals gut.

Und was ist nun kleiner geworden? Ich jedenfalls nicht. Aber die Last auf mir hat abgenommen und auch die, die ich anderen Menschen zumute. An mir ist wirklich alles wie vorher. Ist das nicht interessant? Wenn du auch mal reinschnuppern willst ins minimal, dann tu‘s einfach. Es kostet kein Geld. Auch hier gilt wieder einmal, selbst die längste Reise beginnt mit dem ersten Schritt. Verschenken kann ein guter Start sein. Probier‘s aus. 

Viel Spaß beim Test und danke fürs Lesen.

Jürgen

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