Samstag, 8. Juni 2013

Der dicke Mann im roten BMW

Der Titel des Blogs stammt von Timothy Feriss. Er nutzt die Formulierung als Metapher für die satten, selbstzufriedenen Typen in unserer Gesellschaft. Feriss ist Amerikaner und gebraucht interessanterweise trotzdem die deutsche Edelkarosse und nicht eines der überdimensionalen Pendants aus seinem Land. Ob da ein tieferer Sinn dahinter steckt, überlasse ich deiner Fantasie.

Außer dem Streben nach Geld und dem, was sich dafür kaufen lässt, kennt der dicke Mann keine Interessen. Vielleicht bemüht er sich eben noch, Genuss und Langeweile zu kultivieren. Weiteres verbannte er aus seinem Leben. Mir erschien das Bild vertraut, da ich mich selbst auf dem besten Weg dorthin und vor allem zu der damit einhergehenden Bequemlichkeit befand.

Mein roter BMW war schwarz und von Mercedes. Jedoch dürfte dies nahezu dasselbe sein, besaß ich ihn doch aus ähnlichen Beweggründen und wegen meinem Freund Daniel, der damals als Mercedesverkäufer arbeitete.

Mittlerweile verstehe ich allerdings kaum noch, wie es so weit kommen konnte. Irgendwas ließ mich nach Reichtum streben. Am ehesten war es wohl der Wunsch nach kompletter Sicherheit. Die Vollkasko fürs Leben gibts nun mal nur für Geld, viel Geld. Bekannte und Angehörige wiesen mich auf die Unsinnigkeit des Plans hin. Ich jedoch glaubte, das rauschende Lebensfest für uns finanzieren zu müssen. So schnell als möglich und falls nötig mit Gewalt. Aus der Überzeugung, dass man alles hinbekommt, wenn man sich nur genug müht, startete ich zum Feldzug ums Millionenglück. Denn nur wer hat kann.

Unzählige Schlachten, die es unterwegs zu schlagen galt, raubten mir die Kraft und  zum Schluss jegliche Freude. Als mir der Sinn des Lebens gänzlich abhandenkam, war der Kreuzzug endgültig verloren. Damals ritt ich mit einem veritablen Burn-out in die Klinik im Harz ein. Der Konkurs des Unternehmens, welches das Fundament unseres Reichtums sein sollte, beschrieb dann nur den Schlusspunkt der Irrfahrt, die Odysseus alle Ehre gemacht hätte. Das war vor zwei Jahren.

Was seit dem geschah, lässt sich in solch kurzem Blog schwer vermitteln. Katrin und ich fanden gemeinsam den Weg zurück ins Leben. 600-km-Wanderung in Italien, eine Reise um die Welt und der anschließende Umzug nach Neuseeland beschreiben es aber nur unzulänglich. Es war unglaublich, verrückt, durchgeknallt und lebensverändernd. Und es passierten Dinge, von denen ich niemals geglaubt hätte, so was erleben zu dürfen. Jedoch lag das weder am Luxus, in dem wir schwelgten, noch an der puren Lebenslust. Unbequemlichkeiten und das Gegenteil der »dicke Mann« Attitüde begleiteten uns, weil wir mit äußerst schmalem Budget reisten und unterwegs keineswegs alles Banane war.

Meiner Frau zum Beispiel ging es ab und an übel. Sie erlebte während dieser Zeit psychosomatische Beschwerden. Diese stellen sich ein, wenn die Lebensumstände nicht zur persönlichen Disposition passen. Man kann sich die tollsten Empfindungen einreden - und auch aus, falls es die Umstände erfordern. Das Innere allerdings lässt sich nicht hinters Licht führen. Katrin tat Sachen, die sie nicht wollte, und die nicht gut für sie waren. Trotzdem redete sie sich und mir ein alles zu mögen und so begann die Abwärtsspirale, die uns schlussendlich und traurigerweise auseinander brachte.

Ich kämpfte mit ähnlichen und doch ganz anderen Problemen. »Was mache ich hier?« fragte ich mich. Und ob all das richtig ist und ob wir jemals wieder »in die Spur« kommen. Kurz, ich hatte Angst, echte Zukunftsangst. So kam es, dass ich todtraurig am Strand einer Südseeinsel lag, auf die wir völlig zufällig gerieten. Ich mühte mich möglichst unauffällig, weit von Katrin weg zu rückte, damit sie nicht merkt, wie das Schluchzen mich schüttelt. Wie gesagt, verrückt, durchgeknallt, ...

Neben diesen Trauerdellen gab es überwältigende Traumhaftschönmomente, jene, in denen man denkt, die Wahrheit zu erkennen. Einen solchen erlebten wir beim Überqueren der Golden Gate Bridge in San Francisco. Udo Jürgens‘ Fernwehklassiker »Ich war noch niemals in New York« dröhnte aus den Boxen. Als er sang, dass er nie in zerrissenen Jeans durch diese Hammerstadt ging, brachen alle Dämme. Ich konnte kaum sehen, wo ich lang fuhr, so viel Pipi lief mir aus den Augen, und Katrin schluchzte herzzerreisend. In diesem Augenblick glaubten wir beide zu wissen, was wahr ist und wo wir hin wollen mit dem Leben und das es kein roter BMW sein soll.

Heute bin ich zum gefühlt hundertsten Mal in Rom, weil ich hier mit ihr eigentlich den 13. Jahrestag unseres Kennenlernens feiern wollte. Nur hat sich mein Gegenstück anders entschieden. Sie will nicht mehr, sagt sie. Nicht die Ehe und kein Teil von mir sein. Und ich bin immer noch unschlüssig ob es echt oder eingeredet ist. Sie beteuert die Echtheit, ich allerdings kenne sie. Und das bedeutet, dass kaum etwas real ist, bis Tatsachen geschaffen sind. Daher wird das wohl der nächste Schritt sein.

Fest steht, dass der Kelch ein dicker Mann im dicken Auto zu werden an mir vorbei gegangen ist. Im Moment bin ich eher das Gegenteil, dünn und ohne fahrbaren Untersatz. Fest steht auch, dass ich lernen musste. Die letzten Jahre waren wahrscheinlich die beste Lebensschule überhaupt. Sie kamen spät und damit zu spät für ein ganzes geglücktes Leben. Die Lektionen allerdings sitzen, wie eingemeißelt. Ich durfte verstehen, wer ich bin und was ich kann und wichtiger noch, wovon ich keinen Plan habe.

Vorhin spendierte ich in einer kleinen Kirche in Trastevere unserer Zukunft je eine Kerze. Die Wachslichter flackerten mir einen Spruch vom Kaiser Franz durchs Hirn: »Schau‘n mer mal«. Und irgendwie bin ich neugierig ...

Danke fürs Zuhören
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