Montag, 3. März 2014

Reisegedanken 8 - Schmetterlingschaos

Vernimmst du irgendwo die Aussage »es herrscht Chaos«, weißt du in etwa, was das bedeutet. Irgendetwas läuft unkontrolliert, also chaotisch ab. Manchmal meint man damit ein unaufgeräumtes Kinderzimmer, denn dort trifft man diesen Zustand oft an. Wenn Fritzchen beispielsweise einen hohen Turm aus Bausteinen baut und ihn danach umschubst, sieht es hinterher nicht nur aus wie »bei Hempels unterm Sofa«, sondern er produziert auch etwas. Ein Trümmerfeld nämlich oder eben Chaos, im physikalischen Sinn.

Sollte der kleine Racker den Akt der Zerstörung wiederholen, gelangt er jedoch nie wieder zum selben Ergebnis. Die Bauklötze wollen einfach nicht genauso so zu liegen kommen wie beim ersten Mal, egal wie Fritzchen sich müht. Weil der Einsturz ein chaotisches Ereignis ist. Auch unser Wetter ist ein solcher Prozess. Darum sind Vorhersagen so kompliziert, und obendrein oft genug falsch. Und hier noch ein verrücktes Beispiel. Hast du schon mal vom Schmetterlingseffekt gehört? Die Kernfrage dabei lautet, ob durch den Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien, ein Tornado in Texas ausgelöst werden kann? Irrer Gedanke, oder? 

Und ja, er ist theoretisch genau dazu in der Lage, der brasilianische Falter, und zwar nicht nur weil er erheblich größer ist, als ein Kohlweißling. Kleine Ursachen können sich nämlich fortlaufend verstärken und bums, ist er da, der tödliche Luftwirbel. Hier endet aber mein Wissen zur sogenannten Chaostheorie. Es ist auch nicht nötig mehr zu erklären. Der naturwissenschaftliche Miniausflug dient lediglich als Aufhänger für das, was ich erzählen möchte und es hat ein wenig damit zu tun. 

Nachdem ich zwei Tage mit einer Erkältung flach lag, brach ich heute Morgen wieder zu einem Strandspaziergang auf. Eine Stunde am rauschenden Meer entlang, barfuß durch den weichen Sand laufen, ersetzt mir hier in den Tropen mein Lauftraining. Es ist einfach zu warm zum Joggen und das Sandstapfen schweißtreibend genug.

Ich stellte fest, dass auch ohne Laufschuhe an den Füßen und in deutlich gemächlicherem Tempo als üblich, der Gedankenfließeffekt funktioniert. Heute also, nachdem ich zwei Tage am fasttödlichen Männerschnupfen litt und einsam meine Laken durchschwitzte, flossen die Gedanken wieder einmal. Ich fragte mich, warum mein Leben sich zu solch einem Chaos entwickelt hat. Vor nicht ganz vier Jahren war ich ein deutscher Familienvater, der unvernünftig viel arbeitete und ein klein wenig größenwahnsinnig war, aber sonst ... ziemlich durchschnittlich.

Heute bin ich so normal, wie ein nackter Mann, der mit brennenden Haaren über den Marktplatz rennt: Derzeit »wohne« ich in Indonesien, allerdings bin ich via Indien auf dem Weg nach Europa, wo meine Scheidung stattfinden soll. Der Rucksack ist das einzig Heimische unterwegs. Gerade versuche ich ein Buch in meinen Computer zu tippen, dessen Text mir im Kopf herumfleucht, und merke, welch schwerer Job das ist. In meinem alten Beruf finde ich nach der Erfahrung der letzten eineinhalb Jahre keine Befriedigung mehr. Meine Finanzen sind sehr begrenzt und mein dinglicher Besitz beschränkt sich auf ungefähr 10 Umzugskartons in einem Lager in Auckland. Dort wohnt auch meine Freundin. Ich könnte weiter aufzählen, aber diese Punkte reichen bestimmt um klar zu machen, was für ein Chaos mein Leben derzeit ist. Und zwar nicht chaostheoretisch sondern praktisch.

Heute Morgen am Strand nun beobachtete ich weißblaue Schmetterlinge. Dabei fragte ich mich, ob so einer vielleicht den Lufthauch produzierte, der später als Sturm mein Lebensschiff dermaßen vom geplanten Kurs abbrachte. Es gab nämlich einmal einen Plan, einen fein ausgedachten Lebensplan, wie ihn viele von uns haben. 

Dann kam mir in den Sinn, dass ich mich bei all dem Durcheinander doch eigentlich mies fühlen müsste, unvollständig, umhergetrieben und ohne Heimat. Mit derlei Gedanken beobachtete ich ruhig und fast dankbar die kleinen Flattertierchen, wegen denen ich auf diesen seltsamen Schmetterlingseffekt kam. Ich wartete darauf, dass ich bedrückt wäre oder sogar unglücklich.

Jedoch, das Gefühl blieb aus. Anstelle dessen schien es mir, als ob das Auseinanderfallen einen speziellen Sinn hatte. Manches scheint nämlich erst dabei, seine richtige Ordnung zu erhalten. Genau dieser fühle ich mich im Moment so nah, wie schon sehr, sehr lange nicht mehr. Und ich hoffe, dass ich nicht in das alte Muster zurückfalle. Weil, dann wäre ich bedrückt oder sogar unglücklich. 

Um es aber klar zu sagen, natürlich möchte ich nicht der Reisende bleiben. Schließlich bin ich kein Beduine. Allerdings will ich nie wieder Gefahr laufen, die wichtigen Dinge aus den Augen zu verlieren. Das war wohl der winzige Wind, der später meinen ganz persönlichen Kursänderungstornado verursachte. Es lohnt also wahrscheinlich, auf die kleinen Unscheinbarkeiten zu achten. Könnte sein, dass es die sind, die den größten Einfluss auf unser Leben haben.

Eins weiß ich jedoch heute genau, man braucht keine Angst vor Stürmen zu haben und auch nicht davor, dass etwas auseinanderfällt. Sobald die Tränen trocken sind, kann es nämlich sein, du stellst fest, dass alles viel besser zusammenpasst. Der Chaostheorie, Gott oder dem Schmetterling sei Dank.

Chaotische Grüße
Jürgen

Abschließend noch eine kleine organisatorische Sache. Ich baue gerade eine automatische Mailingliste auf um mir die aufwändige manuelle Veröffentlichung jedes einzelnen Blogs zu ersparen. Daher würde ich mich freuen, wenn du dich hier einträgst. Ich bedanke mich dafür mit einem kleinen "Extra".