Samstag, 29. März 2014

Worauf wir bauen

Kürzlich schrieb ich in einer E-Mail »das Leben ist eine Baustelle«. Ich benutzte den Spruch wohl als Metapher für meine eigene Unstetigkeit. Seither musste ich darüber nachdenken und entdeckte Interessantes. Genau davon möchte ich heute erzählen. Es geht um unsere Fähigkeiten beim Bauen. Als Maurer und Bauingenieur bin ich zwar eine Art Experte, allerdings verschafft mir dieser Umstand bei den Bauten, die ich hier meine, keinen Vorteil. Denn tatsächlich sind wir alle begnadete Baumeister. Ungefähr zu der Zeit nämlich, wenn sich die Schuhgröße nicht mehr ändert, beginnen wir Gebäude zu errichten. Eins nach dem anderen.

Das Haus Ausbildung zum Beispiel wird fertig und mit ihm ein ziemlich genauer Korridor dessen, was uns zeitlebens als Beruf begleitet. Danach startet der Bau des Karrieregebäudes, das als Basis für das Erreichen von Erstrebenswertem und als richtig Vermutetem dient. Auch hoffen wir darin auf Selbstbestätigung und Sinn. Das Gebäude unserer sozialen Beziehungen gehört dazu, welches Richtschnur und Prüfstein für Denken, Handeln und Fühlen liefert. Die meisten errichten zudem ein erstes Ehegebäude, hoffend, dass es das Letzte seiner Art bleiben wird. Dies alles sind jedoch nur die Großbaustellen. Daneben gibt es unzählige Kleine, an denen wir tagtäglich werken.

Manche der Bauwerke stürzen ein, mit oder ohne Vorankündigung, weil vielleicht die Fundamente zu schwach waren. Einige bringen wir auch selbst zum Einsturz, indem wir die Öffnungen in den Wänden immer weiter vergrößern und am Ende vor lauter Freiraum gar kein Gebäude mehr erkennbar ist. Wieder andere bekommen Risse, lassen sich aber mit etwas Aufwand reparieren. Und so bauen wir ständig neue Häuser anstelle der kollabierten, halten die Guten instand und sanieren Schäden an den Erhaltbaren. Eine Richtschnur dafür, was erhaltenswürdig ist, gibt es leider nicht. Das Leben kennt nun mal kein Baugesetz. Vielleicht passieren darum bei den Entscheidungen über unsere Lebensgebäude so oft Fehler.

Nun ist mein eigenes Dasein ein Beispiel für besonders rege Bautätigkeit, das muss ich zugeben. Allerdings geht der reine Prozess bei jedem vonstatten. Nur dieser bringt uns nämlich voran, überwindet Stagnation und schafft Entwicklung. Unterschiede bestehen lediglich in der Anzahl der Bauvorhaben und der Häufigkeit von Abriss- und Reparaturarbeiten. Ich weiß natürlich, dass niemand das, was ich hier beschreibe, tatsächlich als Bauprozess wahrnimmt, aber eine gewisse Ähnlichkeit besteht, oder?

Heute Morgen beim Laufen ging ich versuchsweise einmal ingenieurmäßig an das Thema heran. »Was ist der Baugrund?« überlegte ich, während ich durch ein tristes Neubaugebiet in Wismars Süden rannte. Schreiende Eltern übertönten greinende Kinder und der Sanierungsbedarf war unübersehbar. Worauf bauen wir all diese Häuser eigentlich? Hingen sie in der Luft, wären es Luftschlösser und selbige eignen sich fürs Leben bekanntlich überhaupt nicht. Die Idee kam mir, als ich darüber nachdachte, warum ich hier an der Ostsee bin und nicht mehr in meiner tropischen Heimat auf Zeit.

Ich kam, weil meine Tochter Hilfe brauchte. Ohne zu überlegen, beschloss ich zu ihr zu gehen, als ich erfuhr, dass ich ihr von Nutzen sein könnte. Sie ist ein Teil von mir und dieses Gefühl ist wohl das festeste und bindendste, das auf Erden existiert. Seit ich angekommen bin, weiß ich, dass ich allein mit meiner Anwesenheit helfe und das macht mich glücklich. Am Wochenende nun werden wir meine Eltern besuchen. Sie erwarten meinen Bruder und dessen Frau zum Grillen. Die Überraschung wird sein, dass plötzlich die gesamte Mannschaft, Kinder und Enkel, vorm Bratwurstrost stehen. Die Vorfreude darauf ist genauso schön wie Weihnachten.

Warum? Und das ist die Erkenntnis meiner Joggingrunde. Die Familie ist der Unterbau. Auf ihr errichten wir unsere Lebensgebäude. Sie bietet den Baugrund. Kollabierende Karrieren, eingestürzte Ehegebäude oder sonstige Katastrophen beeinträchtigen sie nicht. Kein Haus und kein Familienmitglied kann untergehen, solange diese Bande existieren. Dessen bin ich mir heute sehr sicher. Freunde, Ehepartner und andere Menschen, die ein Stück des Weges mit uns gehen, ja, auch angehäufte Vermögen sind flüchtig. Ob sie bleiben, wer weiß das schon genau?

Die Familie allerdings, unser Ursprung und Grund, ist unkaputtbar. Bis sich eine Generation verabschiedet. Jedoch ist das vom Schmerz des Verlustes einmal abgesehen kein Problem, sondern der Plan. Die Nächsten treten in die vorderste Reihe, bis sie nicht mehr können und so weiter.

Es gibt einen vertrackten Teil in der Geschichte. In dem Moment nämlich, wenn wir den Menschen treffen, der uns berührt, wo keiner vorher war, der mit dem wir uns trauen ein Ehegebäude zu errichten, ändert sich etwas. Mit Wucht tritt dieser jemand dann an erste Stelle. Diese verrückte Kraft, deren Wirkung kein Statiker berechnen kann, ist die Liebe. Sie bringt das in unser Leben, nach dem wir uns all sehnen. Und in aller Regel sorgt sie mit Nachwuchs dafür, dass auch in Zukunft fester Baugrund da sein wird. Die Ehe an sich ist jedoch ebenfalls nur ein Gebäude. Ein Spezielles und Notwendiges und Großartiges, doch wie lang es steht, weiß niemand.

Darum mein heutiger Appell oder Hinweis oder, ... Schaut nach den Menschen, mit denen ihr die Gene teilt. Mit ihnen seid ihr verbunden auf eine unkaputtbare Weise. Viele Probleme in unserer Gesellschaft lösten sich bei mehr funktionierenden Familien in Wohlgefallen auf. Es lohnt sich also!

Danke fürs Lesen und für heute ziemlich zufriedene Grüße aus Wismar
Jürgen

Am Ende noch mal der Hinweis: Ich baue gerade eine automatische Mailingliste auf um mir die aufwändige manuelle Veröffentlichung jedes einzelnen Blogs zu ersparen. Daher würde ich mich freuen, wenn du dich hier einträgst. Ich bedanke mich dafür demnächst mit einem kleinen "Extra".
DANKE!
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