Donnerstag, 16. April 2015

Puccini am Pantheon

Roms Piazza di Pantheon ist übersät mit Verkäufern. Sie bemühen sich, den neusten Schrei der Schnulliwelt unters Volk zu bringen. Handyverlängerungen für bessere „Selfies“ sind offenbar gerade hipp und so kämpfen 100 Verkaufsafrikaner um ein paar Tausend Touristenkunden. Mit den Stäben zu je 10 Euro, die zu nichts gut sind, als den eigenen Arm zu verlängern, fuchteln sie umher und bedrängen potenzielle Käufer. Andere, mehr europäisch aussende „Geschäftsleute“, buhlen als Aufreißer vor den Restaurants um die Gunst der Vorüberkommenden.

Man könnte meinen, dass der berühmte Bau, nach dem der Platz benannt ist, mittlerweile zur Nebensache degradiert wurde. Dabei ist das einzigartige Pantheon fast 2.000 Jahre alt und trug bis ins 19. Jahrhundert die größte Kuppel der Welt. Vom unbeschreiblichen Raumgefühl, der Akustik oder der Ehrwürdigkeit des Ortes will ich gar nicht erst reden. Hinfahren und selber staunen, kann ich nur empfehlen. Irgendwie nimmt man ob der Schönheit nicht einmal all die Touristenwidrigkeiten wahr.

Es ist gegen Abend. Daher scheint die Sonne nur noch am östlichen Rand der Piazza. Genau da sitzen Gabriela und ich nebeneinander an einem kleinen Tisch. Zum Ausklang eines wundervollen Tages bestellt sie Wasser und Laphroig, einen sehr rauchigen Whisky aus Schottland, wo der Ursprung ihrer Familie liegt. Vor mir steht ein Maßkrug, mit sehr kaltem Bier aus Deutschland, der Heimat meiner Vorfahren. Direkt vor uns bemühen sich abwechselnd verschiedene Leihenmusiker darum, für ihre Darbietungen Geld einzusammeln.

Gerade packen drei Gestalten, die mich an einen 80-jährigen Jimmy Hendrix und Jesus in Personalunion erinnern, ihre Instrumente zusammen. Als Nächster bereit macht sich ein wuschelhaariger Mann, in blauen Hochwasserhosen und weißem Hemd. Er zappt durch mehrere Stücke auf seinem iPod. Der Lautsprecher verteilt Musikfetzen, die Verdi erahnen lassen. Könnte aber auch Mozart sein oder Rossini. So genau kenne ich mich bei Opern nicht aus. Als er findet, was er suchte, nimmt er Haltung an und lauscht der Musik. Leise zieht eine Melodie über den Platz und durchs Gewimmel und genauso leise, beginnt er zu singen.

Die Muppet Show tauglichen Figuren der Karaoke-Rock‘n Roll Band unterbrechen ihr Tun und lauschen der Stimme des jungen Mannes. Mehr und mehr Menschen ringsum werden aufmerksam. Sie erhaschen vielleicht nur eine Sequenz der Musik, aber diese reicht, sie innehalten zu lassen. Der Mann singt so schön, dass im ganzen Umkreis, das Leben anzuhalten scheint. Man sieht, wie er sich in die Stücke einfühlt und die Orchesterklänge aus der Apple-Konserve mit seiner Stimme adelt. 

Am Ende kommt er zur weltbekannten Arie „Nessun Dorma“ aus Puccinis Turandot und schmettert das „Vinceró“ über den Platz, als ob er die Mauern des Pantheons zum Einsturz bringen will. Die Erhabenheit des Moments drückt nicht nur mir Tränen in die Augen. Ich kann nicht anders, als einen kleinen Schein zusammengefaltet in den vor ihm stehenden Hut zu werfen. Der Künstler bedankt sich artig mit einer leichten Verbeugung.

Danach setzen wir den Spaziergang durch die Gassen fort. In mir schwingt immer noch das Lied und verbreitet Ruhe und Frieden. Beim Schlendern frage ich mich, wie jemand etwas so Schönes schaffen und damit das wuselige Leben für einen kurzen Moment anhalten kann. Es geht offenbar tatsächlich, die Touristenscharen und ihre wildgewordenen Jäger zu bändigen - mit ganz einfachen Mitteln. Wieder einmal wird mir bewusst, dass es die kleinen Dinge sind, die die Menschen wirklich bewegen. Es sind Augenblicke, in denen das geschieht und genau dafür lohnt es sich zu leben.

Danke fürs Lesen.
Jürgen

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