Vor drei Tagen spuckte der ungefähr 1.700 Meter hohe Kelud, ein Vulkan im Osten der Insel Java, Asche übers Land. Die Rauchsäule soll bis zu 10 Kilometern hoch gewesen sein. Als ich aufwachte, und aus meinem Zimmer nach draußen ging, war etwas anders als sonst. Der Morgen war milchig gelb und irgendwie unwirklich, wie ein Winterwald, wenn beim Sonnenuntergang eine dünne Wolkenschicht das letzte Licht filtert und alles in diesen kerzenlichtähnlichen Schein taucht.
Da meldeten sich schon die Mitbewohner. »Look it‘s raining ashes.« Und nun sah ich es auch. Die Sonne war nur noch eine Ahnung und die Gegend grauweiß mit Staub gepudert. Daher wohl die Erinnerung an einen Wald im Winter. Wege, Rasen, Pflanzen, Autos und Mopeds waren mit diesem seltsamen Zeug bedeckt. Menschen, die sich im Freien bewegten, trugen Mundschutz und hatten ihre Köpfe mit Tüchern verhüllt. Mir war sofort klar, dass das ein Vulkanausbruch sein musste. Kunststück auf Java, wo die meisten aktiven Vulkane der Welt »wohnen«.
Ich ging zum Fernseher in der Lobby und sah Bilder des rauchenden Berges. In RTL Manier wurde marktschreierisch über den Ausbruch berichtet. Leider gab es zwei Tote zu beklagen. Wir Fremdländer spürten eine riesige Unruhe, da wir die teils dramatischen Szenen sahen, die erklärenden Worte dazu aber weder verstanden noch lesen konnten. So was erzeugt Unsicherheit und genau das tat es bei den anwesenden Bule, den Langnasen. Wir ergingen uns in wilden Spekulationen, während es draußen immer stärker »schneite«. Beruhigend wirkte lediglich der Gedanke, dass das Aschemonster 600 Kilometer östlich liegt.
Der Staub drang mittlerweile auch ins Haus und wir mussten die Türen geschlossen halten. Trotzdem verteilte sich das feine Zeug in jeder Ecke. Die Einheimischen jedoch waren ruhig, als ob nichts geschehen sei. Weder zeigten sie Angst davor, dass es schlimmer werden könnte, noch Ärger darüber, dass sie zumindest eine riesige Reinigungsaufgabe vor sich hatten.
Als der Ascheregen nachließ, ging ich raus, um mir selbst ein Bild von der Lage zu machen. Als ich zur Hauptstraße kam, traute ich meinen Augen nicht. Ich musste die Luft anhalten, da ich keinen Atemschutz besaß. Alles dort lief ab wie normal, als ob nichts geschehen sei. Einziger Unterschied war, dass die Mopedfahrer vermummt waren wie Terroristen und jeder mit Licht fuhr. Es war ein undurchdringlicher Nebel, der durch den aufgewirbelten Staub verursacht wurde. Kaum erkannte ich die gegenüberliegende Straßenseite. Die Fußgänger trugen Hüte mit breiten Krempen und Gesichtsmasken. Die Welt sah anders aus, die Menschen auch, aber störte sich jemand daran? Nein!
Am Nachmittag traf ich einen Einheimischen, der gut Englisch sprach, und fragte ihn, wieso die Indonesier sich so wenig um die offensichtliche Naturgewalt kümmerten. Seine Antwort war kurz, jedoch überzeugend. »We can‘t change it anyway.« - wir können es sowieso nicht ändern. Was er noch sagte, klang ebenso eindeutig. »God will care for us. Why should I worry?« - Gott wird für uns sorgen. Warum soll ich Angst haben?
Früher, als Atheist, hätte ich den letzten Teil zumindest in Gedanken kritisch betrachtet. Vor einiger Zeit aber änderte ich meine Haltung in Glaubensfragen. Ich beschloss an Dinge zu glauben, die hinter dem von uns bewusst Wahrnehmbaren existieren. Nicht an einen bestimmten Geist oder Gott, sondern an das Göttliche in der Welt, an etwas, dass ich auch bei diesem kleinen Moslem fand. Er glaubt an Allah. Und das ließ ihn die offensichtliche Gefahr ruhig ertragen, gab ihm die Kraft gelassen mit der Unbill der Natur umzugehen.
Genauso, erklärte er mir, war es bei dem Tsunami 2006, bei dem in dem Ort über 500 Menschen starben. »Wir konnten es sowieso nicht ändern.« Was sie aber danach taten, war ein Alarmsystem zu installieren, damit es beim nächsten Mal weniger Tote geben wird. Es ist jedoch keine Sorglosigkeit, die diese Haltung zum Ausdruck bringt, sondern genau das, was ich mir und uns Bule‘s wünsche. Den Tag zu leben. Sorgen sind für die Zukunft, die wir nicht kennen und Reue ist für die Vergangenheit, die niemand mehr ändert. Nur im Hier und Jetzt geht es uns wirklich gut.
Danke fürs Zuhören.
Dein Jürgen