Mittwoch, 5. Februar 2014

Reisegedanken 2 - Aufbrechen

Gestern Abend schickte mir meine Freundin ein Bild aus ihrem Urlaub. Darauf war eine große Muschel, die in Neuseeland Pippi heißt. Ich musste lachen, da das gleichzeitig Sabines Spitzname ist. Ihre Kinder sammelten am Nachmittag die Schalentiere und warteten dann auf die leckeren Musselfritter, die Mum daraus zubereitete.

Heute Morgen nun schreckte ich aus dem Schlaf. Nicht wegen der Muschelbuletten, sondern weil mein »Doppelstockbettuntenschläfer« sich nach offenbar anstrengender Nacht in die Waagerechte begab. Unser Bett erzitterte wie bei einem Erdbeben. Nachdem ich einen Ohrstöpsel herausgepult und mich orientiert hatte, nahm ich aber wahr, wie das Bröckchen im Kellerabteil anfing zu schnarchen. Alles gut dachte ich und legte mich erleichtert nieder.

Der Blick aufs Handy verriet, dass es erst fünf und damit eindeutig zu früh zum Aufstehen war. Also versuchte ich noch mal einzuschlafen. Es klappte und bald begann ich zu träumen. Dabei tauchte die Muschel abermals auf. Glasklar sah ich genau eine solche Pippi, die mit einem breiten, spitzen Messer aufgebrochen wurde. Beim Öffnen kam ihr helles Fleisch zum Vorschein. Ein großes klares Bild, fast wie im Kino. Nach dem Aufwachen fragte ich mich, warum das so intensiv war?

Normal ist es eher ungewöhnlich, dass ich mich an Geträumtes erinnere und falls es doch vorkommt, dann höchst selten in dieser Klarheit. Weshalb also gerade diese Pippimuschel? Am Anfang hatte ich keine Ahnung. Je länger ich aber darüber nachdenke, desto mehr glaube ich, dass es gar nicht um das Krustentier ging, sondern darum, was mit ihm geschah? Dieses »Aufbrechen« war es, was mir im Kopf herumkreiste.

Man bricht die Muschel auf, um an das gute Fleisch in ihrem Inneren zu gelangen - macht Sinn, oder? Man bricht die Wallnuss auf, um den delikaten Inhalt genießen zu können - mmmh! Es geht also ums Zentrum - dorthin vorzudringen, wo der wertvolle Kern zu finden ist. Selbst Einbrecher brechen auf, um an die Schätze drinnen zu kommen.

Aufbrechen hat aber noch eine zweite Bedeutung, die es zu einem sogenannten Homonym werden lässt. Man startet zu einer Reise, beginnt mit etwas Unbekanntem oder bricht auf zu neuen Ufern. Kürzlich tat ich das auch. Seit einiger Zeit denke ich nun schon darüber nach, wieso ich diesen Entschluss fasste. Warum musste ich meinen Job kündigen und mich mit 50 in die Ungewissheit stürzen, wo andere in diesem Alter beginnen ihre Errungenschaften zu verwalten? Weshalb zog es mich mit dieser unbändiger Kraft in die Ferne? Ich fand viele Antworten und je nach dem, mit wem ich sprach, variierten sie etwas. Der wahre Grund aber liegt wohl einzig und allein in dieser Muschel.

Ich brach auf um an das Gute im Inneren zu kommen, den Kern. Die Werkzeuge unterscheiden sich, nicht jedoch das Ziel. Nussknacker, spitzes Messer oder Rucksack, egal, der Sinn ist derselbe. Wer sich noch nicht wirklich angekommen fühlt an seinem Platz, in der Mitte, der sollte sich ein Herz fassen - und in der für ihn richtigen Weise aufbrechen. Nur so kommt man ans Muschelfleisch des Lebens.

Danke fürs Zuhören
Jürgen