Dienstag, 11. Februar 2014

Reisegedanken 4 - Ken und Ann aus dem Tipi

Ich genieße momentan eine Art Urlaub, die in vielen Ländern „Homestay“ heißt. Man lebt bei Einheimischen und nimmt an ihrem Alltag teil. Für mich ist es eine großartige Möglichkeit, Land und Leute kennenzulernen. Man erfährt mehr als andere Touristen. Zum Beispiel über die Strände hier an der Südküste der Insel Java. Einige sind einsam und nicht weit vom Prädikat „Traum“ entfernt. Aber das Leben der Menschen ist einfach. Westliche Vergnügungen sucht man vergebens. 

Dafür bietet meine Gastmama ein unschlagbares Frühstück an. Vielleicht gilt der Platz unter Travellern deshalb als Geheimtipp. Für fünfzig Cent bekommt man Ananas, Toast, Ei, Butter, Marmelade und Kaffee, soviel man möchte. Als Highlite gibt‘s hausgemachten Joghurt. Übernachten kann man für sechs Euro. Genau darum kamen auch Ken und Ann. Er war klein, drahtig, hatte einen Igelschnitt und ein freundliches Gesicht, schaute aber fast unterwürfig zu ihr auf. Sie war leicht mollig, hatte dicke rote Haare und blickte böse. Mein erstes Gefühl war, Ablehnung - wegen ihres Aussehens. Und ein bisschen weil ihre Aussprache sie sofort als Amerikaner auswies. 

Ich saß sattgefrühstückt und schreibend auf der überdachten Terrasse, als die beiden am Nachbarstisch Platz nahmen, nicht ohne sich artig vorzustellen. Das war nett. Nachdem sie mit dem Essen fertig waren, fragte Ken »What are you up to?« Er wollte also wissen, was ich vorhabe und so begann unsere Unterhaltung. Ich erzählte, dass ich „sehr langsam“, auf dem Weg nach Deutschland bin, das ich mich scheiden lassen muss und verschiedene weitere Dinge zu erledigen habe. Weiterhin versuche ich ein Buch zu schreiben und entdecke gerade, wie großartig es sich anfühlt, frei zu sein.

Beide hörten mit ehrlichem Interesse zu und erzählten mir danach von ihrem Leben in North Dakota. In einem Tipi. Ich war platt. North Dakota ist kalt, soviel weiß ich. Zumindest im Winter. Und genau das war ihr Problem. Darum überwintern sie momentan hier im tropischen Südostasien. Nur um ihren Tipitraum im Frühjahr fortzusetzen. Ihr Zelt stammt von der Firma, die den Film, »Der mit dem Wolf tanzt«, ausstattete erzählte Ken, und zeigte mir Bilder vom Bau. Er war stolz wie Cortez nach der Eroberung Mexikos.

Ich erzählte ihm, dass ich Ingenieur bin und mich mit nachhaltigem Bauen beschäftige. Das fand er spannend und freute sich seine Meinung zu diesem Thema diskutieren zu können. Für die Krone sämtlicher zukunftsfähiger Gebäude hielt Ken sein Tipi. In zwanzig Jahren sah er Millionen Menschen auf seine Weise leben - bescheiden, nah an der Natur, ohne nennenswerte Spuren zu hinterlassen, ... Ich muss bekennen, dass ich ihm nur wenige Argumente entgegenhalten konnte. Allerdings waren wir uns einig, und hier meldete sich Ann zum ersten Mal, dass ein bisschen Komfort auch zu den Errungenschaften unserer Zeit gehört. Sie wünsche sich eine Küche, sagte sie, einfach ja, aber wenigstens einen Herd anstelle des offenen Feuers. Plötzlich erschien sie mir sympathisch.

Wir besprachen verschiedene Konzepte zukunftsfähiger Bauweisen aus aller Welt: Stroh-, Hügel-, Holz-, Lehm- und sonstige Häuser sowie Earth-ships und andere futuristische Ideen. Ken muss ein Bauexperte sein, dachte ich, da er tatsächlich Bescheid wusste. Auf die Frage, wie er sein Geld verdient, erklärte er mir jedoch, dass er Yogalehrer sei und Ann, seine Freundin auch. Sie hätten fleißig Stunden gegeben, um sich die Flüge hierher leisten zu können. Zuhause ruht ihr Leben derweil. Laufende Kosten wie Mieten oder Versicherungen haben sie nicht und das Tipi liegt über den Winter in einer Scheune von Freunden.

Wir besprachen noch einige Einfälle, die mir spontan zu Problemen kamen, mit denen sie sich plagen. Eine einfache Drainage, um den Boden trocken zu bekommen zum Beispiel, oder Möglichkeiten zum Schutz vor Kälte und weitere Fragen, die das Leben im Zelt angenehmer machen könnten. Ihr größtes Problem war die Feuchte und ich erklärte, wie eine Lüftung nach dem Venturiprinzip in einem solchen »Gebäude« prima funktionieren dürfte. Ken schlug sofort vor, meine Ideen der Zeltherstellerfirma zu verkaufen.

Wo er denn all das Wissen über Nachhaltigkeit herhabe, fragte ich. Daraufhin meinte er, dass es ihm zuerst ein Anliegen gewesen sei und mittlerweile eine Art Lebenshaltung. Es kümmere ihn nun mal, was aus unserer Erde zukünftig werde und er wolle seinen Abdruck, so gering wie möglich halten. Am wohlsten wäre ihm, wenn er etwas gut machen könnte, von dem, was seine Vorfahren zerstörten. Wow!

Die beiden haben das dreißigste Lebensjahr noch nicht erreicht. Und als Amerikaner gehören sie zu der Rasse, denen ich einen verantwortlichen Umgang mit der Welt am wenigsten zutraue. Aber sie überzeugten mich. Und sie änderten mein Bild eines ganzen Landes ein Stück weit, als sie mir erzählten, wie viele Menschen in ihrer Heimat ähnlich denken. Unzählige suchen nach Wegen, weg vom rein konsumbestimmten Dasein, hin zu verantwortungsvollerem Handeln. Und das alles ohne staatliche Zuschüsse und ohne Förderung, allein aus der Erkenntnis, dass etwas falsch läuft auf unserer Erde.

Als wir uns verabschiedeten, hatte ich meine Lektionen für den heutigen Tag erhalten: Vorurteile sind Blödsinn. Der erste Eindruck kann trügen. Und es gibt Dinge, die Hoffnung machen. Danke dafür Ken und Ann.

Und danke fürs Lesen!
Jürgen

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