Donnerstag, 20. Februar 2014

Reisegedanken 6 - Din-Din

Heute Morgen, nach einem ausgedehnten Strandspaziergang ging ich in mein Büro. O.K., Büro ist etwas übertrieben, aber es ist ein Platz, der mir zum Arbeiten taugt. Eine grob gezimmerte Holzbank mit strohgedecktem Sonnenschirm. Hier sitze ich und versuche Ordnung in das zu bringen, was aus meinem Kopf, in die Tastatur und von da in den Speicher des Computers plätschert. Geht grad mal nix, drehe ich mich nach links und gucke aufs Meer. Das hilft meistens. Tut sich dann immer noch nichts, gehe ich schwimmen oder schaue nach Leuten, mit denen ich quatschen könnte. Heute entdeckte ich Din-Din.


Din-Din ist ungefähr 30 und Indonesier. Er ist ein »Typ«, spricht neben seiner Muttersprache fließend Englisch, Holländisch und Französisch, aber auch recht gut Deutsch und etwas Russisch. Er surft und spielt großartig Gitarre. Dazu sieht er klasse aus - braun, drahtig mit langen schwarzen Locken. Er hängt oft in meinem Hostel rum. Nur war mir bisher nicht klar, was er eigentlich tut. Gestern sprach ich mit ihm über die notwendige Verlängerung meines Visums. Er versprach, mir zu helfen.

Er freute sich mich hier zu treffen, und nachdem ich ihm erklärt hatte, was ich tue, kam er zur Visaverlängerung. »Also«, meinte er, »wegen deines Passes, wenn du nach Yogjakarta gehst, kostet es 800.000 Rupien, in Tasikmalaya ist es billiger, aber du musst zwei Tage warten. Zu beiden Orten brauchst du 4 - 7 Stunden pro Weg, je nach Verkehr. Falls du willst, kann ich das für dich erledigen.« Allerdings wolle er mir nichts verkaufen, weil darin sei er ganz schlecht. So saßen wir, guckten Richtung Meer, tranken Tee und redeten.

Ich fragte, womit er sein Geld verdient. »I am the master of nothing« - ich bin der Meister des Nichts - antwortete er und wir mussten beide lachen. Dabei ging mir die italienische Redewendung »Dolce far niente« - das süße Nichtstun - durch den Kopf. Aber eigentlich gehe es ihm wie mir, er sei arbeitslos. Im Übrigen wären über 60 Prozent seiner Landsleute in der Gegend ohne Job im klassischen Sinn. Man lebe von Tag zu Tag. »Das ist normal«.

Din-Din sagt, er tut, was eben anfällt. Mal spielt er für Geld Gitarre, mal gibt er Surfstunden und manchmal fährt er Touristen mit einem geborgten Moped zu den Naturattraktionen. Wenn sich die Wellen nicht zum Surfen eigenen, Touristenkunden nicht in Sicht sind und er keine Lust auf anderes hat, sitzt er hier und schaut aufs Meer.

So lebt man also in einem Land, das laut »Happy Planet Index«, das vierzehntglücklichste der Welt ist. Davon erzählte ich Din-Din. »Ja« bestätigte er, »wir sind glücklich. Arm aber glücklich.« In dieser Studie wird ermittelt, wie sich Menschen in ihrer Heimat fühlen, wie alt sie im Schnitt werden und welchen ökologischen Fußabdruck sie hinterlassen. Deutschland belegt Rang 47 und liegt somit über 30 Plätze hinter Indonesien. Allerdings fällt es schwer, das zu glauben, schaut man beide Gegenden im direkten Vergleich an.

Europas Musterschüler in Sachen Wirtschaft hat fast alles, Indonesien fast nichts. Es ist eines der ärmsten Länder der Erde außerhalb Afrikas. Und ganz egal welche Kategorie ich anschaue, Infrastruktur, Gesundheitswesen, Handel, Industrie, Kultur, Verwaltung oder was auch immer, Deutschland gewinnt um Längen. Besonders den Einkommensvergleich: Eine durchschnittliche deutsche Familie hat monatlich etwa 2.700 € zur Verfügung, wohingegen die indonesische mit 150 € zurechtkommen muss.

Obwohl er noch nie verreist war, wusste Din-Din dank Fernsehen über die westliche Welt recht gut Bescheid.  Was er dann sagte, ist der eigentliche Grund, warum ich diesen Blog schreibe. »Gibt es in Deutschland nicht immer mehr Verrückte?« »Wie bitte?« fragte ich mit großen Augen. Er erklärte, dass er auf »Deutsche Welle Asia« einen Bericht darüber gesehen habe, dass Deutsche zunehmend unter ihren Jobs leiden und psychische Krankheiten stark ansteigen würden.

»Jaaa, aaaaaber .... « holte ich zu einer weitschweifigen Erklärung aus. Da fiel mir Din-Din ins Wort. »Du kannst das auch hier haben« meinte er. »Brauchst nur nach Jakarta oder Bandung zu gehen, dort gibt es jede Menge Verrückte, die nur rennen.«

Din-Din ist ein intelligenter Bursche, sehr intelligent sogar. Er hätte wahrscheinlich leicht ein Studium absolvieren und einen gut bezahlten Job in einem der wirtschaftlichen Zentren des 240 Millionen Landes finden können. Aber er lebt sein Leben, bei seiner Familie und so wie es ihm gefällt. Er hat sich für langsam entschieden. Din-Din lacht auch viel, eigentlich immer, wenn ich ihn sehe, so wie die meisten Menschen hier. In dieser Kategorie gewinnt nämlich Indonesien - um Längen. Nun sitze ich schon eine Weile hier, schaue aufs Meer und muss die ganze Zeit darüber nachdenken, ob rennen und haben oder langsam gehen und sein die bessere Wahl ist.

Danke fürs Zuhören.
Dein Jürgen